FOTOCULT MAGAZIN

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Von Maria zu Salome. Die Sammlung Fotografie im Kontext

James Craig Annan (1864-1946), The Church and the World, ca. 1900, Heliogravüre, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Madonna, Mutter, Fee, Lichtgestalt mit Heiligenschein oder Königstochter mit edelsteinbesetztem Diadem – dies sind einige der Rollen, die die Fotografen der Jahrhundertwende den Frauen ihrer Zeit zuschreiben. Unter dem Begriff des Porträts versammelt die internationale Bewegung der Kunstfotografie ganz andere Bilder als die Studiofotografen für ihre zahlenden Atelierkunden. Die Kunstfotografen wollen weder den sozialen Status ins Bild setzen, noch die zeitgenössischen Frauen in der sich verändernden Welt der Industrialisierung zeigen. Sie entwerfen in ihren Werken überhöhte sphärische Gestalten und inszenieren sie als Figuren aus einer entrückten Welt. Parallel zur Ausstellung Jugendstil. Die große Utopie zeigt die Schau rund 30 Aufnahmen renommierter deutscher und internationaler Fotografen um 1900: James Craig Annan, Emma Boaz Barton und Julia Margaret Cameron (Großbritannien), Adolphe de Meyer, Robert Demachy, Pierre Dubreuil (Frankreich), Minya Diez-Dührkoop, Rudolph Dührkoop und Hugo Erfurth (Deutschland), Atelier d'Ora (Österreich) und Annie W. Brigman, Felix Benedict Herzog, Gertrude Käsebier, Clarence Hudson White (Amerika).

Julia Margaret Cameron (1815-1879), Miss Ellen Terry, 1864, Pigmentdruck, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg


 
Während die Frauenbewegung für Wahlrecht, Recht auf Bildung und Beruf eintritt, zeigen amerikanische Kunstfotografen wie Gertrude Käsebier und Clarence Hudson White die Frau als Verkörperung der Reinheit im weißen Kleid und in der Rolle der selbstlosen Mutter. Der Franzose Pierre Dubreuil stellt sie als Marienfigur und Heilige dar. Andere französische sowie deutsche und österreichische Piktorialisten wie Adolphe de Meyer, Minya Diez-Dührkoop und das Atelier d’Ora inszenieren ihre Modelle als orientalisch inspirierte Salome.
 
In einer Zeit, in der die Psychologie das Irrationale und Instinktive des Menschen entdeckt, setzt auch die Fotografie darauf, die Psyche zu erkunden. Porträtaufnahmen werden zu Seelenlandschaften. Annie Brigman, eine amerikanische Fotografin aus dem Kreis der New Yorker Photo-Secession, arbeitet an einer Serie von Aktfotografien in der Landschaft. Ihren eigenen Körper und den ihrer Modelle zeigt sie in dramatischer Vereinigung von Mensch und Natur. In Bezugnahme auf die klassische Mythologie entwirft sie Baumnymphen und heidnische Gottheiten, deren Körper mit der Natur verschmelzen. Die Landschaft Nordkaliforniens verwandelt Brigman in eine überzeitliche, mythische Urlandschaft. Mit dem Sujet des nackten Körpers knüpft sie an die Ideen der Freikörperkultur der Lebensreformbewegung an.

Minya Diez-Dührkoop (1873-1929), Frau Richard Dehmel, 1908-1910, Platindruck, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg


 
Zahlreiche der Fotografen sind Frauen, deren eigene Biografien nicht selten im Kontrast zu ihren idealisierten Bildmotiven stehen. Gertrude Käsebier etwa eröffnet 1897 ein eigenes Studio in der Fifth Avenue in Manhatten und zählt mit vielen Bildbeiträgen in der Zeitschrift Camera Work zu den erfolgreichsten Kunstfotografen im Kreis um Alfred Stieglitz. Sie inszeniert zahlreiche Fotografien um das Thema Mutterschaft und bestätigt damit jene Rollenerwartungen, die die Gesellschaft der Frau traditionell entgegenbringt.

Gertrude Käsebier (1852-1934), Blessed Art Thou Among Women, ca. 1899, Heliogravüre aus Camera Work I, 1903, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg