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Laia Abril. On Abortion | Karolina Wojtas. Play and Punish

FOTO ARSENAL WIEN präsentiert zwei umfangreiche Erstpräsentationen in Österreich, die sich mit den Risiken des eingeschränkten Zugangs zu Abtreibung und Fragen nach Grenzen und Regeln im Schulsystem auseinandersetzen.

© Laia Abril

Laia Abril (*1986, Spanien) stellt ihre erste Serie aus dem Zyklus Eine Geschichte der Frauenfeindlichkeit (A History of Misogyny) mit rund 120 Arbeiten erstmals im deutschsprachigen Raum vor. Sie gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Stimmen in der Auseinandersetzung mit Archiven, Fotografie und Kulturgeschichte und ist in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Österreich zu sehen. Parallel dazu zeigt die polnische Multimedia Künstlerin Karolina Wojtas (*1996) eine Auswahl ihrer Auseinandersetzung mit dem Schulsystem ihres Landes.

FOTO ARSENAL WIEN setzt damit die Auseinandersetzung mit ausschließlich weiblichen Stimmen im aktuellen fotografischen Diskurs fort. In ihren schonungslosen Erkundungen von Zuständen hinterfragen die beiden Künstlerinnen Wahrnehmungen, gesellschaftlich-kulturelle Normen und Bildkonventionen.

Laia Abril. On Abortion

Was verbindet das Bild eines Kleiderbügels, ein Paar an einem Bettgestell fixierte Handschellen und ein unscharfes Porträt einer Frau miteinander? Im Kontext des Begriffs „Abortion“ (Abtreibung) erwecken diese Bilder nicht nur unmittelbar zahlreiche Assoziationen, sondern auch eine unglaublich brutale Kraft.

Unter „natürlichen“ Umständen würde eine gebärfähige Person in ihrem Leben etwa 15 Mal schwanger werden, was zu zehn Geburten führen würde. Lediglich sieben dieser Kinder würden die Kindheit überleben. Dieser Hintergrund betont die Suche der Menschen über Jahrhunderte hinweg nach Möglichkeiten, eine Schwangerschaft zu verzögern oder abzubrechen.

„Wenn es sich um eine Vergewaltigung handelt, verfügt der weibliche Körper über Mittel und Wege, sich dagegen zu wehren.“ Diese Aussage eines US-Amerikanischen Politikers aus dem Jahr 2012 verdeutlicht, wie stark bis vor wenigen Jahren Selbstbestimmung am eigenen Körper fundamental in Frage gestellt wurde und in den meisten Ländern der Welt immer noch wird. Beispielsweise erlaubte Papst Franziskus im Jahr 2016 erstmals in der Geschichte katholischen Frauen, die eine Abtreibung vorgenommen hatten, in der Beichte um Vergebung zu bitten. Was wie ein Fortschritt scheint, wirkt jedoch immer noch in Formen von Stigmatisierung und Schuld weiter und verdeutlicht jene grundlegende globale Problematik.

© Laia Abril

Laia Abrils (*1986) Langzeitprojekt A History of Misogyny (Eine Geschichte der Frauenfeindlichkeit) ist eine visuelle Recherche, die anhand historischer und aktueller Vergleiche durchgeführt wird. In ihrem ersten Kapitel On Abortion (2016) dokumentiert und konzeptualisiert Abril die Gefahren und Schäden, die entstehen, wenn gebärfähige Personen keinen legalen, sicheren und kostenlosen Zugang zur Abtreibung haben. Mit ihrer sorgfältigen Forschungsmethodik greift sie in die Vergangenheit zurück, um die lange und kontinuierliche Erosion der reproduktiven Rechte von gebärfähigen Menschen bis in die Gegenwart aufzuzeigen.

Ihre Sammlung von Bild-, Ton- und Textmaterial, deren Recherche in Wien begann, webt ein Netz von Fragen zu Ethik und Moral und enthüllt eine Reihe von sozialen Auslösern, Stigmata und Tabus rund um die Abtreibung, die lange Zeit unsichtbar geblieben sind.

Laia Abril (*1986) ist eine recherchebasierte Künstlerin, die mit Fotografie, Text, Video und Ton arbeitet. In Form von Installationen, Büchern, Web-Dokumentationen und Filmen finden ihre Projekte auf verschiedenen Plattformen Ausdruck. Diese Arbeiten wurden international ausgestellt und veröffentlicht und befinden sich in privaten Sammlungen und Museen wie dem Centre Pompidou und dem FRAC in Frankreich, dem Victoria & Albert Museum in Großbritannien, dem Musée de l'Elysée und dem Fotomuseum Winterthur in der Schweiz, dem MoCP in Chicago sowie dem MNAC und der FotoColectania in Barcelona. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, die mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurden. Aktuell werden ihre Arbeiten auch in Lausanne und Berlin gezeigt.

Karolina Wojtas. Play and Punish

© Karolina Wojtas

Warum wurde der Stift mit einem riesigen Knäuel aus grellrotem Klebeband an einer Kinderhand fixiert? Ist es eine spielerische Performance oder eine brutale Bestrafung?

Die polnische Künstlerin Karolina Wojtas (* 1996) wirft Fragen nach Grenzen und Regeln im Erziehungs- und Schulsystem auf. Der umstrittenen Entscheidung, die gymnasiale Schulbildung in Polen 2017 radikal zu verändern, begegnet Wojtas mit extrem in Szene gesetztem erneutem Chaos. In ihren surrealen Bildern schafft sie nicht durch Antworten Struktur, sondern stiftet weitere Verwirrung: Spielen, Toben, absurdes und unreflektiertes Handeln - Qualitäten kindlicher Aktivität. Und so steckt sie beispielsweise den Kopf ihres Bruders in einen Käfig, oder inszeniert jene Hand mit Klebeband, bei der man erst auf den zweiten Blick erkennt, was Finger und was Schreibwerkzeug ist.

Spiel, Ironie und Kritik setzt sie in Bezug zu Exzentrik und einer fantastischen Welt kindlicher Ideen, indem sie Objekte zweckentfremdet und Kinderzimmer zu Spielplätzen macht: Bauklötze werden zu raumgreifenden, riesenhaften, fotografisch bedruckten Skulpturen, durch die sie uns in die Welt von Liliput in Gullivers Reisen entführt. Aus der Perspektive der Kinder hinterfragt sie die Macht eines rigiden und bisweilen militärisch wirkenden Schulsystems, wie es nicht nur in ihrem Heimatland Polen zu finden ist.

In Ihrer Arbeitsweise verzichtet die Künstlerin auf minutiöse Planung. Stattdessen pflegt sie Unvorhersehbarkeit und Spontanität. Karolina Wojtas lädt die Besucher:innen auf einen Ausstellungsspielplatz ein, der die Normen des Erwachsenseins in Frage stellt. Ihre Ablehnung von Konventionen, Reife und Ernsthaftigkeit spiegelt sich in ihrer Ablehnung der traditionellen Ausstellungform von Fotografie wider. Sie strebt Ausstellungen an, die über das Zweidimensionale hinausgehen und zu einem partizipatorischen Erlebnis werden.

Erstmals in Österreich präsentiert FOTO ARSENAL WIEN zirka 30 Fotografien, Videos und Installationen der polnischen Künstlerin in einer Einzelausstellung.

Karolina Wojtas graduierte von der Łódź Film School und dem Institute of Creative Photography in der Tschechischen Republik. Sie wurde für zahlreiche Preise nominiert und erhielt 2019 den ING Award, Amsterdam und 2022 den C/O Berlin Talent Award. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in Ausstellungen im Foam Museum in Amsterdam, im Museum of Modern Art in Warschau, in der Fotogalleri Vasli Souza in Oslo, im Beijing 1+1 Art Center in Peking und im MNAC – Museu Nacional de Arte Contemporânea in Lissabon. Sie lebt in Polen.

© Karolina Wojtas

Eckdaten der Ausstellungen

Laia Abril. On Abortion

Karolina Wojtas. Play and Punish

15.12.2023 – 10.3.2024, täglich außer Montag 11–19 Uhr

FOTO ARSENAL WIEN im MQ Freiraum und MQ Salon, MuseumsQuartier Wien

Eintrittskarten an der Tageskasse und im MQ Shop €10 regulär, €5 ermäßigt

Kurator der Ausstellungen: Felix Hoffmann, Artistic Director FOTO ARSENAL WIEN

Eröffnung: 14.12.2023, 19 Uhr, durch

Cristina Fraile Jiménez de Muñana, Botschafterin des Königreichs Spanien in der Republik Österreich

Jaqueline Scheiber, Autorin, Minusgold, Sozialarbeiterin

Felix Hoffmann, Artistic Director FOTO ARSENAL WIEN

Pressekonferenz: 14.12.2023, 11 Uhr; MQ Freiraum und MQ Salon, MuseumsQuartier Wien

Gefördert von: Stadt Wien Kultur

Unterstützt von: Deutsche Börse Photography Foundation

Medienpartnerschaften, Kooperationen: Camera Austria. EIKON. FOTOGESCHICHTE. artmagazine.cc, ORF III. Volkstheater. Österreichisches Filmmuseum. Kunsthalle Wien. Hunger auf Kunst und Kultur

FOTOCULT Blog by Glaphyra Gusenbauer