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Wolfgang Tillmans. Schall ist flüssig bis 24. April 2022 in MUMOK

Seit den frühen 1990er-Jahren erforscht Wolfgang Tillmans unseren Blick auf die Welt und die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben. Geleitet von der selbstkritischen Frage „What do I really see? What do I see, and what do I want to see? What is in the picture?“ widmet er sich Menschen und Körpern, Landschaften, Architekturen, Gegenständen und Himmelserscheinungen.

Wolfgang Tillmans
Schall ist flüssig / Sound is Liquid 2021-2022, Exhibition view

Photo: Georg Petermichl, © mumok
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Tillmans schafft Fotografien, Installationen, Videos und Musik, die die Grenzen des Sichtbaren ausloten, unterschiedliche Möglichkeiten der Wahrnehmung aufzeigen und subtile Einsichten in die Grundlagen unseres Miteinanders und unseres Begehrens vermitteln. Seine Offenheit sowie die Zurückweisung eindimensionaler Sichtweisen lassen unreflektierte Wahrheitspostulate ebenso fragwürdig erscheinen wie absolute Standpunkte oder autoritäre Auffassungen. Das Ergebnis sind Werke, die vom Willen zur Gemeinschaft, von Austausch, Selbstreflektion und von der Überwindung starrer (Aggregats)zustände handeln.

Wolfgang Tillmans
Weak Signal II, 2014
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
unlikely match, 2017
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Angesichts der außerordentlichen Aufmerksamkeit, die Wolfgang Tillmans in den letzten Jahren weltweit zuteilwurde, ist es mehr als verwunderlich, dass seine Werke in Wien bislang nur vereinzelt zu sehen waren. Umso wichtiger erscheint es uns, einen umfassenden Einblick in Tillmans’ vielfältiges Schaffen zu ermöglichen.
Die Ausstellung Wolfgang Tillmans. Schall ist flüssig beinhaltet frühe Fotografien, die im popkulturellen Umfeld der 1990er-Jahre entstanden, abstrakte Bilder, hochauflösende Aufnahmen der von Globalisierung und Digitalisierung geprägten Realität des frühen 21. Jahrhunderts sowie Fotografien, die kurz vor und während der Corona-Pandemie aufgenommen wurden. Zudem werden die 2-Kanal- Videoinstallation Book for Architects sowie eine Vielzahl neuer Musik- und Videoarbeiten zu sehen sein. Auch Tillmans kürzlich veröffentlichtes Debutalbum Moon in Earthlight wird in einer Sound-Video-Installation im Ausstellungsraum präsentiert.

Wolfgang Tillmans
Mond in Erdlicht, 1980
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
Schall ist flüssig / Sound is Liquid 2021-2022, Exhibition view

Photo: Georg Petermichl, © mumok
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
Omen, 1991
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
corridor – after party, 1992
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
suit, 1997
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Der Beobachtung von Menschen, deren Beziehungen zueinander und deren Verhältnis zu den Dingen, die sie umgeben, kommt in Tillmans’ Werk zentrale Bedeutung zu. Diese subjektiven Verbindungen und Modi der Wahrnehmung von Körpern, Bildern, Materialien oder Oberflächen ändern sich angesichts der Verlagerung unseres Alltags in den digitalen Raum deutlich. Wir erleben gegenwärtig räumliche Umstrukturierungen und mediale Veränderungen, die nicht zuletzt auch den Status der Fotografie und deren Verhältnis zu Materialität und Visualität betreffen.

Wolfgang Tillmans
Schall ist flüssig / Sound is Liquid 2021-2022, Exhibition view

Photo: Georg Petermichl, © mumok
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
Freischwimmer 227, 2012
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
end of winter (a), 2005
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans hat diesem sich wandelnden Verhältnis von Haptik und Optik, von Körper und Blick in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Sei es, dass er die Materialität des Papiers und dessen Wahrnehmung durch unterschiedliche Formen der Präsentation, Rahmung und Darstellung ausdifferenzierte, sei es, dass er sich Druckfarben und -prozessen widmete oder mit Bildschärfen und -auflösungen arbeitete, die die Möglichkeiten unseres Auges bei weitem übertreffen. Immer wieder sind es die Bedingungen und Grenzen des Sichtbaren in Relation zu anderen Formen sinnlicher Erfahrung, immer wieder sind es Status und Rolle der Fotografie zwischen analogen und digitalen Produktions- und Darstellungsformen, die dabei virulent werden. So ermöglichen Tillmans’ Werke eine Auseinandersetzung mit jener „Aufteilung des Sinnlichen“, beziehungsweise mit jenen „Formen der Neugestaltung von Erfahrung“, die, wie der Philosoph Jacques Rancière es treffend formuliert, das Terrain bilden, auf dem sich auch „unsere politische Subjektwerdung“ vollzieht.

Wolfgang Tillmans
blue self portrait shadow, 2020
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
crossing the international date line, 2020
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Wolfgang Tillmans
Lüneburg (self), 2020
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Themen des gesellschaftlichen, technologischen und medialen Wandels sowie die pointierte Beschäftigung mit Formen der Präsentation und der Wahrnehmung im musealen Raum bilden eine wesentliche Grundlage für Wolfgang Tillmans’ Ausstellung im mumok. Eine Auseinandersetzung mit der Aufteilung des Sinnlichen, beziehungsweise mit dem Verhältnis von Visualität und körperlicher Präsenz bedeutet hier nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit Präsentations- und Rezeptionsweisen, mit Raum- und Größenverhältnissen sowie mit (zumal in den letzten anderthalb Jahren völlig neuen) Erfahrungen von Nähe und Distanz.

Kuratiert von Matthias Michalka

Wolfgang Tillmans
Schall ist flüssig / Sound is Liquid 2021-2022, Exhibition View

Photo: Georg Petermichl, © mumok
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Katalog
Anlässlich der Ausstellung Wolfgang Tillmans. Schall ist flüssig erscheint eine vom mumok herausgegebene Publikation mit umfassenden, vom Künstler selbst editierten Bildstrecken. Darüber hinaus beinhaltet das Buch eingehende Essays zu spezifischen Aspekten von Wolfgang Tillmans’ künstlerischer Praxis. Als Autor*innen konnten George T. Baker, Diedrich Diederichsen, Elisabeth Lebovici und Felicity D. Scott gewonnen werden. Der Katalog enthält zudem ein Booklet mit Tillmans‘ Fotodokumentation der Installation im mumok.

Biografie
Wolfgang Tillmans, geb. 1968 in Remscheid, studierte von 1990 bis 1992 am Bournemouth & Poole College of Art and Design. 2000 wurde ihm als erstem Fotografen und nichtbritischem Künstler der Turner Prize verliehen. 2013 wurde er Mitglied der Royal Academy of Arts, 2015 erhielt er den Hasselblad Award.
Seit den 2000er-Jahren wurden Tillmans’ Arbeiten in großen Museums- Einzelausstellungen sowie von 2012 bis 2013 im Rahmen einer umfassenden Werkschau gezeigt, die durch Südamerika tourte. Die Kunsthalle Zürich (2012) und Les Rencontres d’Arles in Frankreich (2013) präsentierten Arbeiten seiner Werkgruppe Neue Welt. 2012 zeigte das Moderna Museet in Stockholm eine Auswahl von Arbeiten der letzten 25 Jahre, die 2013 auch im K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, zu sehen war. Tillmans’ Videoinstallation Book for Architects, die 2014 auf der Architekturbiennale in Venedig debütierte, war danach im Metropolitan Museum in New York zu sehen. 2015 eröffnete eine groß angelegte Einzelausstellung im National Museum of Art, Osaka, sowie in Göteborg anlässlich der Verleihung des Hasselblad-Awards. Anfang 2016 zeigte er im Museu de Arte Contemporânea de Serralves in Porto eine großangelegte Überblicksausstellung, ebenso 2017 in der Tate Modern, London, und in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel.
Seit 2018 bespielt Wolfgang Tillmans mit der ifa-Tourneeausstellung FRAGILE zahlreiche Ausstellungshäuser afrikanischer Hauptstädte wie Kinshasa, Nairobi, Johannesburg, Addis Abeba und Yaounde�. 2019 und 2020 waren Einzelausstellungen unter anderem im Carré d’Art – Musée d’art contemporain, Nîmes, im Irish Museum of Modern Art, Dublin, und im WIELS in Brüssel zu sehen. Für 2022 plant das MoMA in New York eine umfassende Retrospektive.
Im Vorfeld des Brexit-Referendums engagierte sich Tillmans erstmals offen politisch. Er gestaltete Poster, die an die Wählerregistrierung erinnerten und sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU aussprachen. Seine Anzeigen und Plakate zur Bundestagswahl 2017 riefen zu höherer Wahlbeteiligung auf, um dadurch den Stimmenanteil rechtsnationaler Parteien so niedrig wie möglich zu halten. Aufgrund eines EU-weiten politischen Rechtsrucks und einer damit einhergehenden Anti-EU- Stimmung in vielen Ländern folgte die „Protect the European Union“-Plakat- Kampagne, die in 23 Sprachen übersetzt wurde. Gemeinsam mit Stephan Petermann und Rem Koolhaas rief er im Frühjahr 2018 Künstler*innen und Kreative EU-weit auf, sich an einer Werbekampagne für die Europawahl 2019 zu beteiligen. Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie entwickelte Tillmans mit der Stiftung Between Bridges das Projekt 2020Solidarity, um durch den Verkauf von Postern, die von Künstler*innen gestaltet wurden, Veranstaltungsorte, Sozialprojekte, unabhängige Räume und Publikationen zu unterstützen, die von der gegenwärtigen Krise existenziell bedroht sind.
Wolfgang Tillmans hat im Laufe der Jahre über 30 Bücher herausgebracht und seit den 1990er-Jahren zahlreiche, zumeist selbst konzipierte und gestaltete Publikationen und Editorials veröffentlicht. Seit einigen Jahren legt Tillmans wieder einen verstärkten Fokus auf Musik, produziert eigene Songs und Musikvideos und tritt als Musiker und DJ auf. Wolfgang Tillmans lebt und arbeitet in Berlin und London. Seit 2006 betreibt er den Non-profit-Ausstellungsraum Between Bridges, der zuerst in London beheimatet war und von 2014 bis 2019 in Berlin fortgesetzt wurde.

Porträt / Portrait: Wolfgang Tillmans in der Ausstellung / at the exhibition
Schall ist flüssig / Sound is Liquid
Photo: Georg Petermichl, © mumok
Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

Die Ausstellung im mumok wird von der Art Mentor Foundation Lucerne großzügig unterstützt.
Unser besonderer Dank gilt dem Sponsor des mumok UNIQA sowie den Medienpartnern Der Standard, Falter, Wien live und Ö1.