Reise CULT by Barbara Ebner - Harbin
Schon immer Lust darauf gehabt, zu fühlen, wie es ist, wenn einem sprichwörtlich die Luft wegbleibt? Man boarde einen Flug nach Harbin im Norden Chinas zwischen Weihnachten und Mitte Februar und steige aus dem Flugzeug aus ...wow, minus 32 Grad Celsius – da hält man sich gleich instinktiv den Schal vor die Nase. Im Flughafengebäude hat es dann romantische minus 10 Grad und ein paar hysterische, nicht vorbereitete Asiaten zerren sofort jegliche Kleidung aus dem Koffer und versuchen es mit der Zwiebelmethode.
In Wahrheit ist das einzig Wahre und Warme das draußen wartende Taxi beziehungsweise in unserem Fall der chinesische ‚Uber‘, der uns zum Kempinski Hotel bringt. Vorsichtshalber habe ich eine internationale Hotelkette gebucht – was aber nicht heißt, dass am Empfang English gesprochen wird.
Tolle Zimmer mit Blick auf die Eiswelt in der Ferne, aber der Kühlschrank ist nicht kalt, weil in China Getränke im Winter nicht kalt getrunken werden. Ungläubiges Kopfschütteln, weil ich Eiswürfel will, und auch keine ins Zimmer geliefert bekomme, nicht in einer Stunde und auch nicht nach zwei Stunden warten. Als bekennende Weißweintrinker haben wir auf Reisen auch immer eine Flasche guten Weißwein im Gepäck, da man hier fast nur Rotwein, Bier und Champagner (manchmal) bekommt.
Die Zimmerausstattung macht einiges wett und das überdimensionale Frühstück umso mehr - und siehe da – am Buffet gibt es eiskalten Sekt. Selten so ein üppiges vielfältiges Frühstück genossen.
Leider sperrt das chinesische Restaurant um 9 Uhr abends zu, sodass wir uns mit dem durchaus beliebten aber mittelmäßigen Paulaner Hofbräuhausrestaurant im Hotel begnügen müssen – wer will schon Eisbein in China.
Dort werden auch Fellmützen mit Gesichtsschutz erstaunlich günstig verkauft und wir schlagen zu – ein Glück wie wir bei den ersten Schritten vor die Tür feststellen dürfen – nur wo kriegen wir jetzt eine Skihose her? Nicht auszuhalten die Kälte. Unser Mr. China-Uber weiß auch da eine Lösung und so stapfen wir alsbald von Kopf bis Fuß verhüllt durch das vereiste Harbin.
Im Stadtpark findet die ursprüngliche Eiscarving-Ausstellung immer noch statt und ist definitiv einen Besuch wert, bevorzugt zwischen 11 und 14 Uhr, um die perfekt ins Eis einfallenden Sonnenstrahlen bewundern zu können.
Nach einer guten Stunde Streifzug durch die Gärten und einer ziemlich schnellen Rutschpartie bin ich sehr froh, kurz ins Wärterhäusl reinzudürfen, wo ein Elektrostrahler die Temperatur ca. auf minus 10 Grad erhöht – immerhin kann ich einmal kurz ohne Mundschutz atmen. Und auf Tuchfühlung zu sein - im wahrsten Sinne des Wortes - mit einer mir trotz vieler Chinabesuchen immer noch fremden Kultur – ist auch ein Erlebnis.
Nach einer weiteren halben Stunde Durchstreifen des Parks spüren wir die Zehen trotz fellgefütterter Moonboots nicht mehr und wollen nur noch in irgendein Restaurant oder Hotel hinein. Gar nicht so einfach und so landen wir sozusagen in letzter Minute vorm Erfrieren einiger Körperteile in einem Restaurant, dessen Spieße von außen super lecker aussehen und sich bei näherem Anblick als Innereien entpuppen. Innerer Jubel als meine Krabbenbeinchen serviert werden – was kann da schon schiefgehen, außer scharf und Überraschung: roh – sind sie köstlich.
Warum wir wohl alle den Lunch hinauszögern? Abends wird’s angeblich noch kälter.
Ein Besuch in der Kathedrale, die zu einem hochinteressanten Museum verwandelt wurde lohnt sich wirklich – architektonisch wie informativ.
So erreichen wir dann um ca. 16 Uhr die Schneewelt, einem neuen Park, der etwas außerhalb der Stadt liegt, hier wird nicht Eis geschnitzt, sondern es werden riesige Figuren aus eben Schnee geformt.
Definitiv richtiges Timing zur goldenen und blauen Stunde. Mittlerweile haben wir uns schon fast an die Kälte gewöhnt und werden mutig, wir bitten unseren Fahrer, uns in ein einheimisches Restaurant zu bringen, was er nach einigem Zögern auch macht.
Inmitten von Hochhäusern landen wir in einer Art Almhütte mit 6 Zimmerchen, die alle in der Mitte mit einem holzbefeuerten Tischofen ausgestattet sind.
Ratzfatz ist ein Stör aus dem dafür wirklich kleinem Becken gefischt und nach einer eindrucksvollen Wokzeremonie landet er in demselben mit viel lecker duftenden Gemüsesorten. Deckel rauf, Schnapserl – Hilfe der brennt! – gekippt und schon dürfen wir aus dem Wok vor uns den Fisch herauslöffeln. Köstlich.
Leicht beschwingt begeben wir uns wieder in die Kälte, um die eigentliche Hauptattraktion zu besuchen: das Iceland – monströse Burgen in kitschigen Farben beleuchtet ziehen mittlerweile jedes Jahr Millionen Besucher an. Aber auch kunstvoll geschnitzte Figuren werden ausgestellt und das schier riesige Ausmaß ist schon einmal beeindruckend, wie auch die lustig herumrutschenden Gäste, die sich durch die Gegend frieren. Kein Wunder, dass die paar Fastfood Restaurants und Cafés zum Bersten voll sind. Achtung: Kameras werden hier, wenn man nicht vorsichtig ist zu ‚Eislutschern‘. Aber alle sind happy und staunen, es ist fast so wie wenn bei uns in Österreich die Kinder vor dem Weihnachtsbaum stehen.
Zwischendurch immer wieder Fotografen mit Megaausrüstung, also beim 10.Mal Handschuhausziehen und Flüchen weiß ich, dass ich etwas anderes brauche: unter den Daunenfäustlingen einen dünnen Handschuh mit Daumen und Zeigefinger frei. Die habe ich jetzt und das war unter anderem die Lektion gelernt auf dieser Reise.
Harbin ist ein Erlebnis der Sonderklasse für ein Wochenende, wenn man sich schon aus anderen, wie zum Bespiel geschäftlichen Gründen in Asien befindet oder als Stopover nach Australien oder Neuseeland und es einem Spaß macht, wenn einem einmal kurzfristig die Luft wegbleibt.