Die ALBERTINA widmet dem österreichischen Fotografen Manfred Willmann (*1952) eine umfassende monografische Ausstellung.
In seinen Serien hält Willmann Szenen aus seinem persönlichen Umfeld in Graz und der Südsteiermark fest. Dabei bricht er mit Klischees des idyllischen Landlebens. Die Bilder sind von einer sehr direkten, subjektiven Sichtweise geprägt, charakteristisch sind die konsequente Verwendung des Blitzlichts und der Fokus auf Details. Als einer der ersten österreichischen Fotografen setzt er zudem Farbe als künstlerisches Ausdrucksmittel ein. Die ALBERTINA zeigt sechs umfangreiche Serien aus Willmanns Werk, darunter die einflussreichen Arbeiten „Schwarz und Gold“ und „Das Land“.
Die Ausstellung umfasst sechs umfangreiche Werkgruppen, in denen sich Willmanns sehr direkte, subjektive Sichtweise manifestiert. Die Fotografien lassen sich sowohl als autobiografische Introspektion als auch als Studie über soziale Strukturen im ländlichen Raum lesen.
Ende der 1970er-Jahre entwickelt Willmann ein visuelles Vokabular, das die Wahrnehmung seiner bislang als nicht darstellungswürdig geltenden Motive bestimmt. Der Fokus auf Details und enge Bildausschnitte gehören ebenso dazu wie der konsequente Einsatz von Blitzlicht. Manfred Willmann setzt seit 1979 in seinen Arbeiten Blitzlicht ein, obwohl es damals für die künstlerische Fotografie als verpönt gilt. Die dadurch bedingten gestalterischen Einflüsse integriert Willmann bis heute in seine Arbeiten: Blitzlicht akzentuiert helle Oberflächen, erzeugt Reflexionen und betont unterschiedliche Texturen. Die Aufmerksamkeit der Betrachtenden wird auf Details gelenkt, die durch das Blitzlicht hervorgehoben werden. Durch die grelle Beleuchtung entstehen Schlagschatten, welche die Motive vom Umraum loslösen. Dies wird dadurch verstärkt, dass die angeleuchteten Objekte oder Personen heller, ihre Umgebung dunkler erscheint. Die Kontraste werden stärker, die Bildschärfe wird gesteigert. Durch seitliche Beleuchtung erhöht sich die Plastizität von Gegenständen. In Willmanns Farbfotografien verleiht Blitzlicht Farben eine höhere Intensität und übersteigerte Wirkung.
Die einzigartige Bildsprache des Künstlers zeigt sich erstmals in der Werkgruppe Schwarz und Gold (1979‒1981), in der die Auseinandersetzung mit Willmanns eigener Biografie im Mittelpunkt steht. Wegweisend ist Willmann in der Verwendung der Farbfotografie, die er als einer der ersten österreichischen Fotografen schon 1981 in der Werkgruppe Die Welt ist schön (1981‒1983) als künstlerisches Ausdrucksmittel einsetzt. Sein Opus magnum ist die Arbeit Das Land (1981‒1993), in der Willmann mit einer idyllischen Darstellung des Landlebens in Österreich bricht und sich gleichzeitig der ideologischen Vereinnahmung seiner Aufnahmen entzieht.
Von einer neuen Nahsichtigkeit gekennzeichnete rezentere Arbeiten wie Blitz & Enzianblau (2005) und 2018/2017 (2017/18) greifen Themen auf, die Willmann in seinem Werk beharrlich untersucht: die gemeinsame Gestaltung eines Lebensraumes, Vergänglichkeit, den Zustand der Natur.
Die ALBERTINA zeigt neben den einflussreichen Serien Schwarz und Gold und Das Land auch diese neueren Arbeiten, beleuchtet zentrale Aspekte in Willmanns Schaffen und spannt einen Bogen über sein Werk vom Ende der 1970er-Jahre bis heute. Sämtliche Werke dieser Ausstellung stammen aus der ALBERTINA oder aus dem Besitz des Künstlers.
Neben seiner künstlerischen Arbeit zeichnete Manfred Willmann als Leiter des Fotoreferats des Forums Stadtpark in Graz (1975‒1996) und als Herausgeber der von ihm 1980 gegründeten Zeitschrift Camera Austria International bis 2010 für zahlreiche Ausstellungen nationaler und internationaler Fotografen verantwortlich.
Werkgruppen
Schwarz und Gold (1979‒1981)
Unter dem Titel Schwarz und Gold vereint Manfred Willmann 1981 in einem Künstlerbuch drei Serien, die er zwischen 1979 und 1981 aufgenommen hat. In drei Kapitel aufgeteilt steht die introspektive Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biografie im Zentrum dieser Werkgruppe. Im ersten Kapitel, Volkmarweg 36, benannt nach der Adresse des Elternhauses, analysiert Willmann seine soziale Herkunft und stellt Porträts seiner Eltern neben Aufnahmen des Wohnhauses mit all seinen Details und Eigenheiten. Unter dem Titel Portraits für ... versammelt Willmann Porträts aus seinem Grazer Freundeskreis und dem Künstlermilieu der Stadt. Eine heterogene Gruppe von Aufnahmen bildet den dritten, Ich träume nie! betitelten Teil, in dem sich Willmann auf der Straße oder bei Spaziergängen vorgefundenen Motiven widmet. Diese Fotografien machen seinen unvermittelten Blick auf gesellschaftliche Gegebenheiten und die Natur sichtbar.
Das Arbeiten in umfangreichen Werkgruppen macht es Willmann möglich, sich längerfristig mit komplexen Themen auseinanderzusetzen. Schwarz und Gold ist die erste Arbeit, für die er eine Rolleiflex-Kamera mit 6x6-cm-Negativen einsetzt, die er auch fortan für seine Arbeit verwenden wird. Zusätzlich zur Hinwendung zum quadratischen Format entwickelt er jene visuellen Strategien, welche die Wiedergabe seiner Motive beeinflussen und seiner charakteristischen Bildsprache zugrunde liegen: den Fokus auf Details, enge Bildausschnitte, ungewohnte Perspektiven und die konsequente Verwendung von Blitzlicht, das einen starken Einfluss auf die Bildwirkung hat.
Die Welt ist schön (1981‒1983)
Zwischen 1981 und 1983 arbeitet Manfred Willmann an einer Werkgruppe, die er Die Welt ist schön nennt. Der Titel verweist auf Alfred Renger-Patzschs gleichnamige Publikation aus dem Jahr 1928, ein Schlüsselwerk der Neuen Sachlichkeit. Der ironische Bezug auf diese Arbeit wird durch die Subjektivität der Aufnahmen Willmanns sowie durch die Verwendung der Farbfotografie verstärkt, die in Kontrast zu Renger-Patzschs Aufnahmen stehen. Ähnlich wie Schwarz und Gold ist Die Welt ist schön in thematische Blöcke gegliedert und von Willmanns unmittelbarer Bildsprache gekennzeichnet. Die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biografie ist weiterhin zentral; ebenso widmet er sich nach wie vor Naturaufnahmen.
Doch Willmann erschließt sich auch neue Themen: Erste Aufnahmen des Alltags in der ländlichen Südweststeiermark, wo er mit seiner Partnerin Christine Frisinghelli ein Haus mietet, sind Teil dieser Arbeit. Aus der konzentrierten Auseinandersetzung mit diesem Lebensraum entsteht parallel die als Work in progress fortgeführte Serie Das Land, die nicht vollständig von Die Welt ist schön abgegrenzt ist.
Im Unterschied zu Schwarz und Gold fotografiert Willmann Die Welt ist schön in Farbe, was für die österreichische Fotografie zu diesem Zeitpunkt als wegweisend anzusehen ist. Künstlerische Fotografie hatte bis in die 1970er-Jahre schwarz-weiß zu sein – Farbe war aufgrund ihrer Verwendung in der Werbe-, Mode- und Amateurfotografie verpönt. Ausgehend von den USA etablierte sich jedoch ab Mitte der 1970er-Jahre Farbe als eigenständiges Ausdrucksmittel der künstlerischen Fotografie. Willmann wendet sich der Farbfotografie zu, um in seinen Arbeiten einen höheren Grad von Realismus zu erreichen.
Das Land (1981‒1993)
Willmanns fotografisches Hauptwerk Das Land entsteht ab 1981 als Work in progress. Eine Auswahl von 126 Fotografien aus den Jahren 1981 bis 1993 veröffentlicht er 2000 als Künstlerbuch unter demselben Titel. Willmann konzentriert sich in dieser Arbeit auf einen kleinen Ort in der Südsteiermark, wo er einen zweiten Lebensmittelpunkt aufgebaut hat. Aus der Innenperspektive richtet er seinen Blick auf das soziokulturelle Gefüge dieses ländlichen Gebiets und hält alltägliche, unprätentiöse Szenen fest. Willmann stellt sich mit seinen Aufnahmen gegen ein Bild vom Land als eines idyllischen, unberührten Lebensraums, das in der Heimatfotografie der 1930er-Jahre wurzelt und in der Bildpolitik des Nationalsozialismus verstärkt eingesetzt wurde. Seine vielschichtigen, widersprüchlichen Aufnahmen zeichnen kein harmonisches Bild des Landes, sondern präsentieren es als Anti-Idylle und entziehen sich einer ideologischen Vereinnahmung.
Willmann erreicht dies sowohl durch die Wahl seiner Motive als auch durch die Fokussierung auf Details, enge Bildausschnitte und die Verwendung von Blitzlicht. Das grelle Licht steigert die Farben ins Unnatürliche und Übertriebene und umgeht so eine Bestätigung vorgefasster Bilder dieses Lebensraumes. Die Ausleuchtung macht selbst kleinste Details sichtbar und erschwert eine inhaltliche Zuordnung der Motive, die durch den Blitz und durch die Verengung des Ausschnittes von ihrem Umraum losgelöst erscheinen. Die Darstellung von Schmetterlingen, Sonnenauf- und -untergängen war ebenso wie die Verwendung des Blitzes zum Zeitpunkt der Aufnahmen in der künstlerischen Fotografie tabu. Die Werkgruppe legt nicht zuletzt auch Zeugnis von Willmanns Herausforderung dieser Konventionen ab.
Für Christine (1984‒1988)
Die Serie Für Christine, Manfred Willmanns Frau Christine Frisinghelli zugeeignet, entstand zwischen 1984 und 1988. Die Arbeit zeigt, wie Willmann konzeptuelle und intuitive Ansätze vereint. Die Vorgangsweise für die Doppelbilder ist die Zusammenführung zweier direkt aufeinanderfolgend belichteten Fotografien, die zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht als Paarung vorgesehen waren. Erst in der Rückschau wird die Kombination der Bilder hergestellt. Die Wiedergabe des Randes mit den Negativnummern ist ein wichtiges Detail dieser Arbeit, weil sie den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang der Aufnahmen dokumentiert.
Für Christine ist eine äußerst persönliche Arbeit, die unterschiedliche Stimmungen und intime Momente des Zusammenlebens des Fotografen mit seiner Partnerin zeigt. Er arbeitet mit ihr, die Mitherausgeberin der Zeitschrift Camera Austria International war, seit 1976 zusammen. Sie ist die Person, zu der Willmann sich in dieser Werkgruppe in Bezug setzt, indem er Porträts von ihr mit Motiven kombiniert, die für sein Werk charakteristisch sind und so auf ihn verweisen. Einzelne Aufnahmen aus dieser Arbeit sind auch in Das Land enthalten, was auf einen Zusammenhang der beiden Serien verweist.
Blitz & Enzianblau (2005)
Die Fotografien der umfangreichen Werkgruppe Blitz & Enzianblau sind 2005 entstanden. Eine Auswahl von rund 160 Motiven wurde 2017 in einem Künstlerbuch veröffentlicht. Die chronologische Anordnung umfasst Aufnahmen aus 17 thematischen Gruppen. Motive wie Porträts, Detailaufnahmen von Böden und Bäumen, Esstischen und Speisen sowie von toten Tieren erinnern an Willmanns frühere Arbeiten Die Welt ist schön und Das Land. Wie diese Werkgruppen handelt auch Blitz & Enzianblau von Willmanns persönlichem Umfeld. Im Vergleich zu den älteren Serien zeichnet Blitz & Enzianblau eine neue Nahsichtigkeit aus, welche die Aufnahmen wie Studien von verschiedenen Oberflächen und Texturen anmuten lässt.
Die Fotografien sind nicht mehr quadratisch, sondern im Seitenverhältnis 2:3 gehalten, da Willmann für diese Werkgruppe mit einer analogen Spiegelreflexkamera mit Kleinbildfilm arbeitet. Der Einsatz dieser Kamera macht es ihm möglich, wesentlich näher an seine Motive heranzugehen als zuvor und einen Ringblitz einzusetzen, der eine gleichmäßigere Beleuchtung gewährleistet. Im Unterschied zu früheren Serien ist das Licht weniger grell, die Farben strahlen dennoch durch die zusätzliche Beleuchtung. Willmann bildet alltägliche Objekte, Menschen und Pflanzen unter denselben Voraussetzungen ab und ordnet sie nebeneinander an. So ergibt sich ein Fluss gleichwertiger Bilder, die von dem Lebensraum handeln, in dem Willmann sich über ein Jahr lang bewegt.
2018/2017 (2017/18)
Der Titel dieser Werkgruppe, 2018/2017, verweist auf den Entstehungszeitraum von Willmanns jüngster Arbeit. Der Fotograf arbeitet hier mit der Digitalkamera als ständiger Begleiterin. In einem kurzen Zeitraum kam so eine Vielzahl von Bildern zustande, für die Willmann wieder zum quadratischen Format zurückkehrt, mit dem er schon in früheren Serien gearbeitet hat. Die Nahsichtigkeit, die Willmann in der Arbeit Blitz & Enzianblau anwendet, ist in der Werkgruppe 2018/2017 deutlich gesteigert. Für die Aufnahmen aus extrem geringer Distanz nutzt er den Spielraum seiner Kamera und fertigt eine Untersuchung von Oberflächen, Gegenständen, Insekten, Tieren und Pflanzen an, die Fragen zu Vergänglichkeit, zum Zustand der Umwelt und zur Vielfalt der Natur ins Zentrum rückt. Nach wie vor setzt Willmann Blitzlicht ein, das durch die geringe Aufnahmedistanz sehr stark wirkt und harte Schatten erzeugt. Die schonungslose Schilderung von Details macht es ihm möglich, „die Dinge noch schöner zu zeigen und noch hässlicher vielleicht“ – ein 1985 formulierter Grundsatz seiner Arbeit, der sich durch alle Werkgruppen zieht und bis heute seine Gültigkeit behalten hat.