Alberto Venzago: Stylist der Wirklichkeit Retrospektive des Schweizer Fotografen im Ernst Leitz Museum Wetzlar
In über fünf Jahrzehnten hat Alberto Venzago ganz unterschiedliche Themen mit seiner Leica festgehalten und dabei alle Formen der Fotografie zwischen Dokumentation und freier Inszenierung ausgelotet. Die Ausstellung mit rund 150 Motiven gibt Einblick in sein reiches, vielschichtiges Werk.
Biografie:
Der Schweizer Fotograf, Bildjournalist und Filmemacher Alberto Venzago, am 10. Februar 1950 in Zürich geboren, entschied sich nach dem Studium der Heilpädagogik und der Klarinette mit Mitte zwanzig als Autodidakt für die Fotografie. Rasch erfolgreich, arbeitete er auch vier Jahre für die Agentur Magnum Photos, publiziert in Life, Stern und Geo. Er pendelt seither mühelos zwischen fotojournalistischer Dokumentation, freier künstlerischer Arbeit und Werbefotografie. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem renommierten ICP Infinity Award. Venzago lebt und arbeitet in Zürich. Mehr unter: www.venzago.com
Alberto Venzago war fast in der ganzen Welt unterwegs, hat in Australien, Japan und New York gelebt, bis er wieder in die Schweiz zurückkehrte. Er war immer ein Grenzgänger und Rastlosigkeit gehörte viele Jahre zu seinem Alltag. Ob Reportagen aus dem Iran zur Zeit der islamischen Revolution oder die Abholzung des Regenwalds, ob Kinderprostitution in Manila, Voodoo-Zeremonien in Benin oder nicht zuletzt seine langjährige Beobachtung der Yakuza, der organisierten Kriminalität in Japan: Als Bildjournalist suchte Venzago immer die größtmögliche Nähe zu seinen Sujets, setzte sich nicht selten lebensbedrohlichen Gefahren aus.
Im Mittelpunkt seiner international publizierten und ausgezeichneten Reportagen stand immer der Mensch. Neben dem Bildjournalisten zeigt sich im Werk Venzagos auch immer der professionelle Studiofotograf, dessen Werbekampagnen, einprägsam und ästhetisch zugleich, vielfach für Aufmerksamkeit sorgten. Sehr persönliche Porträts internationaler Stars wie Tina Turner, Penelope Cruz, Sting oder Mick Jagger sowie freie Motive und Serien demonstrieren die Vielfalt seines kreativen Arbeitens. Deutlich zeigt sich, wie stark seine Karriere vom Wechsel zwischen Dokumentation und Inszenierung, zwischen „genommenen“ und „gemachten“ Bildern geprägt ist.
Der nun in Wetzlar präsentierte Querschnitt zeigt die wichtigsten Stationen seines Lebenswerks – Schwerpunkte bilden die Serien zum Voodoo-Kult, den Yakuza und eine Gruppe großartiger Celebrity-Porträts. Dass Venzago längst auch als Filmregisseur für Furore sorgte, verdeutlicht eine Auswahl an Filmmaterial, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist.
Über seine Yakuza-Serie sagte Venzago selbst einmal: „Ich war damals der einzige Fotograf, der so nah an die Yakuza herankam. Die ‚Familie‘ hat mich damals einfach akzeptiert, ich durfte fast überall dabei sein, wobei ich die ersten Monate kein einziges Bild gemacht habe. Sie haben mich getestet. Und mir wurde schnell klar, das wird eine lange Geschichte, kein Scoop. Ich wollte in die Tiefe gehen. Das haben sie sofort verstanden. Heute ist das alles unvorstellbar.“
Wim Wenders wiederum beschrieb dessen Projekt „Voodoo – Mounted by the Gods“ wie folgt: „Was Venzago aus zwölf Jahren erstaunlichster Erfahrungen, aus über 100 Stunden Videomaterial und Tausenden von Negativen destilliert hat, das hat es noch nicht gegeben, weder im Kino noch in der Fotografie, das ist einmalig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Aus meinem Interview mit Alberto Venzago
Alberto Venzago ist einer der bedeutendsten Reportage Fotografen unserer Zeit. Er gibt uns, nie zuvor gesehene, Eindrücke in die Welt des Schattens. Er schreckt vor nichts zurück. Sei es die japanische Mafia, Yakuza, oder die Voodoo-Zeremonien in Benin. Er lebt in seinen Projekten, wortwörtlich! Während seiner 4 Jahre mit der japanischen Mafia brach er jeglichen Kontakt zu seiner Familie ab und lies sich auf eine Welt des organisierten Verbrechens ein.
Als ich Alberto Venzago fragte, ob er in lebensbedrohlichen Situationen Angst verspürt, entgegnete er mir mit: „Angst habe ich nicht. Ich habe keine Zeit dafür.“ Nach diesen Worten, könnte man sagen, er habe keinen Respekt vor dem Tod. Aber dies ist nicht so! Alberto führt den Satz fort: „Ich habe aber sehr wohl Respekt, ich kalkuliere mein Risiko ein.“
Am Ende meines Interviews stellte ich Alberto Venzago die abschließende Frage, was für einen Fotografen wichtiger zu beherrschen sei: Das Erzählen einer Geschichte oder das Beherrschen der Technik? Darauf antwortete er mir: „Ich weiß nicht ob ich diese Frage beantworten kann, weil ich muss technisch sehr versiert sein. Technik ist Voraussetzung! Andererseits können Personen, wie meine Freundin, unglaublich gute Bilder machen ohne viel technisches Wissen zu haben.“
Alberto Venzago ist eine bemerkenswerte Person und ein Fotograf, der weiss, was es bedeutet, über die Grenzen unserer Gesellschaft zu gehen und Momente in der Geschichte und Kultur der Menschheit einzufangen, welche sich zu Relikten der Vergangenheit wenden und Gefahr laufen für immer vergessen werden.
Sie können seine Ausstellung noch bis zum 14 Mai 2023 im Ernst Leitz Museum im Leitz-Park Wetzlar besuchen.