Josef Koudelka im Ernst Leitz Museum in Wetzlar.

Josef Koudelka – ein Lebenswerk zwischen Zeitgeschichte und Zeitlosigkeit. Vom 5. März bis 23. August 2020 präsentiert das Ernst Leitz Museum Wetzlar die Ausstellung „Exiles und Panoramen“ von Josef Koudelka

Amman, Jordan, 2012 © Josef Koudelka - Magnum Photos, Courtesy of Swiss

Der tschechische Fotograf Josef Koudelka zählt zu den weltweit prägendsten und profiliertesten Fotografen der letzten Jahrzehnte. Seine Bildsprache ist unvergleichlich, intensiv und außergewöhnlich. Das eindrucksvolle Werk des 1938 in Boskovice (Tschechien) geborenen und heute in Paris und Prag lebenden Fotografen wird nun in einer prägnanten Einzelausstellung im Ernst Leitz Museum in Wetzlar präsentiert. 

Im Zentrum der Ausstellung steht die Werkgruppe Exiles, die zu seinen persönlichsten und eindringlichsten Serien gehört. Die Motive spiegeln in besonderer Weise die Sichtweise des Fotografen wider, der hier seine Erfahrungen langjähriger Staatenlosigkeit und nomadischer Lebensweise einbrachte. Nach der Ausreise aus Tschechien im Mai 1970 begann für Koudelka eine Phase der Entfremdung und auch nach seiner Ankunft in England sollte das Reisen den Lebensrhythmus der nächsten Jahre bestimmen. Viele seiner schwarzweißen Fotografien sind von starken grafischen Kontrasten, der Betonung von Flächen und Formen sowie einer teilnahmsvollen Distanz geprägt. Nah am Menschen und der Zeitgeschichte schuf Koudelka über Jahrzehnte außergewöhnliche Fotografien, die seine Zeitgenossen in all ihrer Lebendigkeit und Verletzlichkeit zeigen. Aus humanistischer Perspektive verdichten sich die Aufnahmen zu ausdrucksstarken und emotional berührenden Motiven. Aber auch mit Bildern von Strukturen, Durchblicken oder ungewöhnlichen Perspektiven hat der Fotograf seinem Werk eine enorme ästhetische Kraft verliehen, die gerade in ihrer Schlichtheit oft rätselhaft erscheint.

Bereits während seiner Ausbildung zum Luftfahrtingenieur an der Technischen Universität Prag begann Koudelka in den 1960er-Jahren zu fotografieren, zunächst entstanden Reportagen und anschließend arbeitete er für ein Theatermagazin. Nach der Aufgabe der Tätigkeit als Ingenieur widmete er sich ab 1967 ganz der Fotografie. Während der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 durch die Truppen des Warschauer Pakts, sollten seine berühmtesten Aufnahmen entstehen. In direkten, unmittelbaren Bildern dokumentierte er die Straßenkämpfe zwischen verzweifelten Bürgern und den Invasoren. Seine Negative wurden 1969 außer Landes geschmuggelt und unter der Autorenschaft „P.P.“ verbreitete die Bildagentur Magnum die Bilder zum Jahrestag der Invasion. Weltweit gedruckt und ausgezeichnet blieb das Sigel „Photograph Prag“ zunächst ungelöst, bevor Koudelka zur eigenen Sicherheit 1970 zunächst nach London und ab 1980 nach Paris zog. Die Aufnahmen, die in dieser Zeit entstanden, reflektierten insbesondere seine paradoxen Gefühle zwischen Entfremdung und Engagement. „Ich fand mich einfach außerhalb der Tschechoslowakei und ich beschloss zu tun, was ich bisher nicht tun konnte, als ich dort lebte: die Welt zu sehen.“ Einen Abschluss fand diese Phase in der Publikation Exiles, die allerdings erst 1988 erscheinen sollte. Das Buch wurde zur Bestandsaufnahme und Vergangenheitsbewältigung zugleich. 

Die Ausstellung im Ernst Leitz Museum kontrastiert die Serie Exiles mit einer persönlichen Auswahl seiner Panoramen, die ab Mitte der 1980er-Jahre entstanden sind. Waren seine bisherigen Aufnahmen ganz der Kleinbildfotografie verpflichtet, entdeckte er mit einer Panorama-Kamera die Welt noch einmal neu: in raumgreifenden Landschaften und Küstenstreifen aus Europa und dem mittleren Osten geht er in Gebieten auf Spurensuche, die durch Industrie, Konflikte oder einfach Zeit eine zum Teil verheerende Veränderung durchlaufen haben. Diese großen Bilderwelten erscheinen menschenleer und zeugen doch auf verstörende, gleichzeitig betörende Weise von menschlicher Existenz. 

Die Ausstellung im Ernst Leitz Museum präsentiert mit insgesamt 68 Arbeiten einen intensiven Einblick in das Werk Koudelkas. Dabei reflektieren die Werkgruppen eindrücklich den spannungsvollen Dialog zwischen Mensch und Schicksal, Lebendigkeit und toter Materie, Zeitgeschichte und Zeitlosigkeit. 

Biografie: 

JOSEF KOUDELKA wurde am 10. Januar 1938 in Boskovice, CSSR geboren. Von 1956 bis 1961 Studium an der Technischen Universität in Prag, danach bis 1967 Berufstätigkeit als Flugzeug-Ingenieur in Prag und Bratislava. Parallel entstehen Aufnahmen für ein Theatermagazin, er ist als Reportagefotograf tätig und beginnt sich für das Leben der Roma zu interessieren. Im August 1968 fotografiert er den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag, die den so genannten Prager Frühling, das Demokratisierungsprogramm der tschechoslowakischen KP unter Alexander Dubček, niederschlugen. 1970 wird Koudelka in England Asyl gewährt, das Land bleibt Ausgangsstation seiner vielen Reisen. Seit 1974 ist er festes Mitglied der Bildagentur Magnum. 1987 erhält er die französische Staatsbürgerschaft. Zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. 

Der Fotograf arbeitete insbesondere seit seinem Eintritt in die renommierte Bildagentur Magnum mit Leica Kameras. Auch beim später erfolgten Übergang zur digitalen Fotografie konnte Koudelka wieder auf die Hilfe von Leica zählen: so wurde für ihn eine spezielle Panorama-Kamera auf der Grundlage einer Leica S2 angefertigt.

Warsaw Pact troops invade Prague, Czechoslovakia, August 1968 © Josef Koudelka - Magnum Photos