Große Ausstellungen von Klassik bis Avantgarde –Deichtorhallen stellen das Programm 2023 vor
Umfangreiche Ausstellungen von weltweit führenden Künstler*innen wie Otto Dix, Ralph Gibson, Sarah Morris und Cindy Sherman bilden den Kern des Ausstellungsprogramms der Deichtorhallen Hamburg im Jahr 2023.
Sie, wie auch die zu entdeckende Positionen Ragnar Axelsson oder Kathrin Linkersdorff greifen aktuelle Themen wie Krieg, Klimawandel, Urbanität oder Identitätskonstruktion auf. Ergänzt werden die umfangreichen Präsentationen von Überblicksausstellungen wie »Ernsthaft?!«, die sich der Albernheit und dem Enthusiasmus in der Kunst widmet sowie »gute aussichten«, die wieder junge deutsche Fotografie vorstellt.
Darüber hinaus öffnen sich die Deichtorhallen vermehrt der freien Szene Hamburgs mit einem eigens entwickelten KdK-Projektraum und weiter ausgebauten Vermittlungsformaten.
Öffnung des Hauses
Die Deichtorhallen treiben im Jahr 2023 den Prozess der Öffnung des Hauses hinein in die Stadt und zum Publikum sowohl geografisch, inhaltlich als auch gesellschaftspolitisch weiter voran. »Wichtige Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Vielstimmigkeit bestimmen nicht nur unser Handeln, sondern auch das Ausstellungsprogramm 2023«, so Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen. »Wir fragen uns, welche Themen relevant sind, wie Kunst unsere Lebenswirklichkeit bereichern kann, was wir von ihr lernen und mitnehmen können. Sie macht Dinge sichtbar, auf die wir vielleicht nie den Blick gelenkt haben, komprimiert Ideen, Gefühle, gesellschaftliche Zustände.«
»Dank großartiger Unterstützung seitens der Stadt, unseres Freundes- und Förderkreises sowie Partnern aus der Kunst und Wirtschaft können wir unsere ambitionierten Ziele weiterverfolgen» ergänzt Bert Antonius Kaufmann, Kaufmännischer Geschäftsführer der Deichtorhallen. »Die Sanierung und Modernisierung des Hauses der Photographie schreitet gut voran, neue Orte für die Kunst können realisiert und Räume besucherfreundlicher ausgebaut werden. Auch die digitale Infrastruktur und die Vermittlungsprojekte werden kontinuierlich erweitert. Der im Verbund mit 11 Hamburger Museen eingeschlagene Weg zum nachhaltigen Handeln und Klimaneutralität wird konsequent begangen.«
KdK-Projektraum für die freie Szene
Der Offspace des Klub der Künste (KdK) wird im Jahr 2023 durch einen vielfach größeren Containerbau erweitert. Der Ort ist als Treffpunkt für die (junge) freie Szene Hamburgs gedacht und fungiert sowohl als Atelier und Werkstatt als auch als Klubhaus und Veranstaltungsort. Damit öffnen sich die Deichtorhallen Hamburg der Stadtgesellschaft und übernehmen institutionelle Verantwortung, indem sie partizipativen Raum schaffen, wo er im Stadtraum verschwindet. Ziel ist es, jungen Menschen einen Ort und Rahmen zu geben, in dem zeitgenössische Diskurse und Kunstformen diskutiert und entwickelt werden können.
Neue und ausgebaute Vermittlungsformate
Die bestehenden Vermittlungsformate werden im kommenden Jahr weiter ausgebaut und durch neue Formate ergänzt. Diese lassen sich grob in vier Kategorien gliedern: Artist Residencies, Workshops, Expert*innenführungen und das LAB. Weitere Veranstaltungen wie Film-Screenings, Orientierungstage für Schüler*innen in der Berufsfindungsphase und Panel-Talks sind in Planung.
Nachhaltigkeit und Sanierung
Der im Verbund mit 11 Hamburger Museen, Ausstellungshäusern und Gedenkstätten eingeschlagene Weg zum nachhaltigen Handeln und Klimaneutralität im Rahmen des Projektes »Elf zu Null« soll im kommenden Jahr konsequent weitergeführt und vorangetrieben werden. Eine Mitarbeiterin wird zur Transformationsmanagerin weitergebildet, Die Gründung eines hausinternen »Green Teams« ist auf dem Weg. Beim Thema Beleuchtung und Warmwasserleitungen wurden bereits strikte Sparmaßnahmen umgesetzt, weitere Schritte werden auf Grundlage der für Januar angekündigten Klimabilanz entschieden. Die Sanierung des Hauses der Photographie schreitet unter der Einhaltung strikter Nachhaltigkeitsstandards weiter voran, die Fertigstellung ist für 2025 geplant.
Das Ausstellungsprogramm 2023
Klimaschutz wird nicht nur durch die entwickelte Nachhaltigkeitsstrategie im Haus umgesetzt, sondern spiegelt sich auch im Ausstellungsprogramm wider. In der Retrospektive »Where the World is Melting« des isländischen Fotografen Ragnar Axelsson (17. März – 18. Juni 2023 im PHOXXI) finden die dramatischen Veränderungen von Landschaften und Lebensräumen in den arktischen Gebieten dieser Erde in eindrucksvollen Bildern ihren Niederschlag, die Axelsson seit 40 Jahren anfertigt.
Als Vorbote der großen Werkschau »All Systems Fail« von Sarah Morris (4. Mai – 20. August 2023 in der Halle für aktuelle Kunst) segelt bereits seit September 2022 das größte Kunstwerk der Welt, das jemals die Erde aus eigener Kraft umrundet hat, als ein Zeichen gegen den globalen Klimawandel mit der Rennyacht Malizia – Seaexplorer um die Welt. Am 4. Mai 2023 eröffnet in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen Hamburg dann die bisher umfangreichste Überblicksausstellung der US-amerikanischen Künstlerin. Seit den 1990er Jahren hat Morris ein umfangreiches Werk an Gemälden, Filmen, ortsspezifischen Wandmalereien und Skulpturen geschaffen, die ihr Interesse an Netzwerken, Typologien, Globalisierung, Architektur und Urbanität widerspiegeln. Die Ausstellung wandert anschließend ins Kunstmuseen Krefeld, das Zentrum Paul Klee, Bern und das Kunstmuseum Stuttgart.
Die Auswirkungen von Krieg und Vertreibung, ein thematischer Faden der schon 2022 durch eine Kooperation mit den Odesa Photo Days und die Ausstellung »In the Heart of Another Country« (bis 12. März 2023) aufgenommen wurde, findet in der Ausstellung »Dix und die Gegenwart« (29. September 2023 – 25. Februar 2024 in der Halle für aktuelle Kunst) mit historischer und zeitgenössischer Kunst erneut Eingang ins Ausstellungsprogramm. Das während der NS-Zeit ab 1933 entstandene, vermeintlich unpolitische Spätwerk Otto Dix‘ wird erstmalig umfangreich vorgestellt und bildet den ersten Teil der großen Ausstellung, die sich in einem zweiten Teil der künstlerischen Dix-Rezeption bis in die Gegenwart widmet. Werke von rund 40 internationalen Gegenwartskünstler*innen, darunter Monica Bonvicini, Marc Brandenburg, John Currin, Alice Neel, Nicolas Party, Cindy Sherman, Katharina Sieverding und Kara Walker, zeigen die große Faszination, die das Werk Dix‘ auch heute noch ausübt. Die Schau knüpft damit an die im Jahr 2015 präsentierte Ausstellung der Deichtorhallen »Picasso in der Kunst der Gegenwart« an.
Einen Bogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart schlägt auch die Ausstellung »Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst«, die vom 13. Mai bis 27. August 2023 in Kooperation mit der Bundeskunsthalle, Bonn sowie der Halle für Kunst Steiermark und der Neuen Galerie Graz/ Universalmuseum Joanneum, Graz in der Sammlung Falckenberg präsentiert wird. Die epochenübergreifende Ausstellung umfasst Werke von rund 100 Künstler*innen vom 18. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart. Ein inspirierender Vergnügungspark der Albernheit und enthusiastischen Peinlichkeit mit Werken von Alfred Jarry, Marcel Duchamp, Francis Picabia, George Grosz, Giorgio de Chirico und Sturtevant, Sigmar Polke und Martin Kippenberger bis hin zu zahlreichen zeitgenössischen Positionen der Gegenwartskunst wie zum Beispiel Paul McCarthy, Nicole Eisenman, Fischli & Weiss, Isa Genzken, Pauline Curnier-Jardin, Kiluanji Kia Henda oder Ming Wong.
Humoristische Seiten zeigt auch das Werk von Cindy Sherman, das im Herbst 2023 in der Sammlung Falckenberg zu sehen sein wird (7. Oktober 2023 – 28. Januar 2024). Die Ausstellung »Anti-Fashion« - eine Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart – präsentiert das Thema Mode im Œuvre der wohl wichtigsten Fotografin der Gegenwart. Mode erweist sich für die Künstlerin als Ausgangspunkt ihrer kritischen Fragen nach Identität, Gender, Stereotypen und Alter. Shermans große Bandbreite an Charakteren zeigt die Künstlichkeit und Wandelbarkeit von Identität, die mehr denn je wählbar, (selbst-)konstruiert und fließend erscheint.
Eine ebenso bedeutende Position in der Fotografie nimmt Ralph Gibson als Ikone der Schwarz-Weiß-Fotografie ein. Beide Ausstellungen setzen das Programm des Hauses der Photographie außerhalb des temporären PHOXXI unter dem Dach der Deichtorhallen eindrucksvoll fort. Gibsons Arbeiten widersprechen dabei vollkommen der konventionellen Bestimmung des Mediums Fotografie – der minutiösen Aufzeichnung sogenannter Wirklichkeit: Gibson interessiert sich nicht für die fotografische Dokumentation der Realität, er begreift die Fotografie selbst als ästhetische Realität. Ein Leitmotiv seiner Arbeiten ergibt sich dabei aus der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs Fotografie – dem Zeichnen mit Licht. Die Ausstellung »Secrets of Light« (21. April – 20. August 2023) stellt anhand ausgesuchter Serien die Entwicklung seines Werkes seit den 1960er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart vor und präsentiert auch seltene Farbfotografien aus dem Besitz des Künstlers. Die Schau wandert anschließend ins Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, München.
Eine Vielzahl an aktuellen Themen greifen die Arbeiten der Preisträger*innen des renommierten Nachwuchsförderpreises »gute aussichten - junge deutsche fotografie« auf. Sie untersuchen bspw. Internet-Memes, beobachten die traurige Wirklichkeit von Kindern, beschäftigen sich mit den der Fotografie innewohnenden technischen Gegensätzen, lassen technische Bilder mittels KI verändern, erschrecken sich über die Realität von Krieg spielenden Kindern, verwundern sich über die Normierung des Lebens in Musterhausparks und setzen sich mit Fremdheit und Rassismus auseinander. Vom 1. Juli bis 17. September 2023 werden gleich zwei Jahrgänge von »gute aussichten« im PHOXXI vorgestellt.
Die betörend schönen Arbeiten der deutschen Fotografin Kathrin Linkersdorff schlagen eine Brücke zwischen Fotografie und Wissenschaft. Mit Experimenten, in denen die Künstlerin das Wesen von Pflanzen ergründet und damit einen vergrößerten Blick auf die zerbrechlichen, inneren Strukturen bietet, bewegt sie sich an der Schnittstelle zur Botanik. In der Ausstellung »A Glamour and a Mystery« (14. Oktober 2023 – 14. Januar 2024 im PHOXXI) wird neben der Serie »Fairies« erstmals ihr neues Projekt gezeigt, das z.Zt. im direkten Austausch mit der Mikrobiologin Prof. Dr. Regine Hengge von der Humboldt Universität entsteht und die Ergebnisse von natürlichen Stoffkreislaufprozessen von Bakterien visualisiert. Das komplexe Zusammenspiel von Werden und Vergehen in der Natur wird so direkt sichtbar gemacht.