Hans Weigand Rider in the Storm
Die ALBERTINA stellt den Künstler Hans Weigand mit einer Auswahl seiner aktuellsten Arbeiten vor: Als sensibler Grafiker und Maler greift er alte, traditionsreiche Medien auf und übersetzt sie in die Gegenwart. In gleichem Maße rückt die Präsentation Weigand als vorausschauenden Objektkünstler und Musiker in den Mittelpunkt, der durch seine zumeist sozial- und gesellschaftskritische Sujet- und Titelwahl zutiefst zeitgenössisch ist: Es ist diesen Werken äußerlich nicht anzusehen, dass viele nach Songs von Bands wie The Doors oder The Clash benannt sind, die dem Psychedelic Rock und dem frühen Punk zuzuordnen sind.
Bereits seit den frühen 1970er-Jahren – noch bevor Weigand in Wien bei Oswald Oberhuber an der Universität für angewandte Kunst studiert – wird er stark von Pop-Art, Science-Fiction sowie Psychedelic Pop und Rock beeinflusst. Gemäß dem individuell-anarchistischen Selbstverständnis des damaligen Wiener Kunstkreises reflektiert Weigand in seinen Werken Sehnsüchte, das eigene Scheitern oder Rausch und Entfremdung vom Selbst. Diese Themen gehen Hand in Hand mit gesellschaftspolitischen Motiven.
Weigand, der von Mitte bis Ende der 1990er-Jahre in Los Angeles lebt, breitet in seinen Werken ein utopisch-klassisches und kontrastreiches Bildvokabular aus. Hinter der Fassade des lockeren Lebensstils der amerikanischen Westküste setzt er sich – als er durch befreundete Künstler tiefe Einblicke in die Surf-Punk-Kultur erhält– besonders mit sozialpolitischen Themen wie der Finanzkrise 2008 auseinander. Exemplarisch verkörpert die Figur des Wellenreiters, die Weigand in vielen seiner Arbeiten aufgreift, Ambivalenz: Sie steht sowohl für Freiheit als auch für Risikobereitschaft und Wagnis, Untergang.
In Weigands Werk kollidieren zeitgenössische Motive mit Bildern alter Meister, traditionsreiche Techniken wie der Holzschnitt werden zeitgenössisch und unkonventionell umgesetzt.
Gefährliche Brandung
Als Sinnbild für den ewigen Zyklus des Werdens und Vergehens, als Symbol für Protest und Unberechenbarkeit ist die Welle in der Kunst ein oft gewähltes Motiv – Katsushika Hokusai, William Turner, Gerhard Richter und Hans Weigand begeistern sich in ihren Werken gleichermaßen für die stürmischen Wogen. Übermächtig und furchteinflößend türmen sich die Wassermassen in Weigands gewaltigen Arbeiten zu Wellenbergen auf, die alles Irdische zu verschlingen drohen. Nur vereinzelt tauchen Surfer auf, die der Naturgewalt zu trotzen scheinen. Wasser und Wellen sind Leitmotive in Weigands Schaffen, dessen Sujets stetig zwischen Apokalypse und Idylle schwanken. In der Urgewalt des Meeres wird der Mensch zum Spielball. Zu einem solchen gerät Hans Weigand während seiner Aufenthalte in Kalifornien Mitte der 1990er-Jahre einige Male, als er mit seinen Künstlerfreunden Raymond Pettibon und Jason Rhoades auf dem gemeinsamen Atelierboot, dem sogenannten „Life Boat“, wohnt, mit dem sie des Öfteren in Seenot geraten. Weigand zwingt den Betrachter, in die gigantischen Wassermassen einzutauchen, und reißt ihn mit in die Tiefe seiner eigenen Assoziation.
Drop City / Stadt der Außenseiter
Die große Affinität zu Außenseitern der Gesellschaft und ihrem Platz im sozialen Gefüge zeichnet sich in Hans Weigands gesamtem Schaffen deutlich ab. Der Titel der zwischen 2019 und 2021 entstandenen 16-teiligen Holzschnittserie Drop City lässt unweigerlich an die kalifornische Hippie-Kommune der 1970er-Jahre denken, die auch T. C. Boyle 2003 zu seinem gleichnamigen Roman inspiriert. Wird dort eines der ersten Experimente in alternativer, gemeinschaftlicher Lebensführung praktiziert, welche Weigand damals einige Zeit selbst erprobt, bilden die Arbeiten des Künstlers hingegen in erster Linie die Spuren einer untergehenden Zivilisation ab. Die vier Tableaus Drop City 1–4: Dawn, Morning, Noon und Sunset zeigen versinkende Städte, schwankende Fantasiebauten und einen nachdenklich ins Leere starrender Gorilla – ein Motiv, das der Künstler aus der Science-Fiction-Saga Planet der Affen entlehnt. Durch die Kombination der Motive suggeriert Hans Weigand dem Betrachter die schaurige Vision einer düsteren, kalten, ungewissen und dystopischen Zukunft. Den Titel Drop City nimmt Hans Weigand in dieser Serie wörtlich – als „gefallene Stadt“.
Die Kollision von Vergangenheit und Gegenwart/ The Clash of Time
Vor allem in seiner Arbeit Blue Rider und der – mit sechs Werken noch nicht abgeschlossenen – Serie Blumen des Bösen ist das Aufeinanderprallen von Vergangenheit und Gegenwart motivisch wie technisch besonders deutlich zu erkennen. In Weigands Schaffen kollidieren nicht nur zeitgenössische Motive mit solchen aus Bildern alter Meister. Auch traditionsreiche Techniken wie der Holzschnitt stoßen auf dessen zutiefst zeitgenössische und unkonventionelle Handhabung.
Weigand führt das Schnitzmesser geradezu klassisch und diszipliniert in Parallel- oder Kreuzschraffuren: Ein altertümlicher Klang bemächtigt sich des Sujets. Zugleich monumentalisiert er diese Holzschnitte – die Original-Druckplatte und somit auch den Print– in einem nie da gewesenen Ausmaß. Es ist ein Aufeinandertreffen von alter Holzschneidetechnik und zeitgenössischem Bildanspruch.
So wie das Motivrepertoire aus unterschiedlichen Zeiten stammt und das Einst mit dem Jetzt verknüpft, so treffen surreale Kompositionen mit der Altmeistertechnik des 16. Jahrhunderts zusammen. Auch das Triptychon als Form adoptiert Weigand von den Meistern der Spätrenaissance und des Manierismus. Überhaupt hat die Kunst des Manierismus – ein Stilwollen des krisengeschüttelten 16. Jahrhunderts – eine große Affinität zur zusammenstürzenden und auseinanderbrechenden Welt unserer Zeit.
Surf’s Up / Könige der Wellen
Die Idee, die Scheinwelt der hippen Surferszene querzudenken, inspiriert Hans Weigand zu seinen Surfer-Holzschnitten. Einmal mehr zeigt sich Weigands Interesse für die Außenseiter der Gesellschaft und die aus der Auseinandersetzung mit ihnen hervorgehende Symbolik. Immer wieder greift er das Motiv des Wellenreiters auf und wandelt es ab. In seinen Holzschnitten wird das Traumbild des glücklichen Surfers, der der perfekten Welle hinterherjagt, zum regelrechten Alptraum: Taumelnd und kopfüber stürzen die Surfer in die tosenden, alles verschlingenden Wellen. Dies kann unschwer auch als Metapher für die zerstörte Hippie-Kultur gelesen werden. „Prägend war für mich die kurze Illusion eines Hippie-Paradieses, das ich 1968/69 knapp verpasst habe. Meine Generation hat nur noch die Trümmer des Hippie-Traumes erlebt.“ [Hans Weigand]
Alle dargestellten Figuren scheinen einer längst vergangenen Zeit entlehnt: Tatsächlich sind es Zitate historischer Kupferstiche. In Weigands Archiv befindet sich eine Vielzahl von Aufnahmen abfotografierter Druckgrafiken, die der Künstler in der riesigen Sammlung des Kupferstichkabinetts der Wiener Akademie der bildenden Künste studiert hat.
Bereits in den 1970er-Jahren setzt sich Weigand vermehrt mit B-Movies wie Planet der Affen auseinander. So zeigt sein Holzschnitt Old Gorilla Lady ein Gorillaweibchen vor einer futuristischen Architektur, einem Hotel im ehemaligen Jugoslawien, das stark an ein Raumschiff denken lässt. Weigand empfindet das „Landen auf einem fremden Planeten“ als humoristische Metapher, die er kurzerhand mit seinen Surfer-Figuren vermischt: Die Wellenreiter verlieren sich allesamt im Meer und finden, nachdem sie an Land zurückkehren, eine völlig veränderte, ihnen gänzlich unbekannte Welt vor.
Reise in die Leere / Die Brüchigkeit des Glücks
In der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre setzt sich Weigand nicht nur mit den Außenseitern der Gesellschaft oder den Folgen der Weltfinanzkrise auseinander; er zeigt entlegene, oftmals menschenleere Orte, an denen nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten westlichen Kernwaffentests stattfanden. So führte die Atommacht Frankreich ab 1966 auf Mururoa zahlreiche derartige Versuche durch. Das vermeintliche Surfparadies, das Weigand dem Betrachter durch die in den Wellen untergehenden oder im Sand steckenden Bretter suggeriert, weicht in diesen Arbeiten der Darstellung katastrophaler Szenerie – Orten an denen weder Mensch noch Tier auf Dauer überleben kann. Zwar existiert noch allerlei Vegetation, doch kann diese als Ergebnis der hochgradigen Verstrahlung, die die Pflanzen ungehindert wuchern lässt, gedeutet werden.
Ausstellungsdaten
Dauer : 19. Mai – 21. August 2022
Ausstellungsort: Basteihalle ALBERTINA
Kurator: Klaus Albrecht Schröder
Co-Kuratorin: Constanze Malissa
Werke: 31
Katalog: Erhältlich im Shop der ALBERTINA sowie unter www.albertina.at um EUR 19,90
Öffnungszeiten: Täglich | 10 bis 18 Uhr; Mittwoch & Freitag | 10 bis 21 Uhr
Kontakt : Albertinaplatz 1 | 1010 Wien; www.albertina.at