Huang Po-Chih. Blue Elephant noch bis 27. Februar 2022 in MUMOK
Der taiwanesische Künstler Huang Po-Chih ist in den letzten Jahren mit partizipatorischen, auf sozialen Austausch zielenden Beiträgen zur Shenzhen Sculpture Biennale (2014), Taipeh Biennale (2014 und 2016), Performa 19 in New York (2019) sowie zuletzt zur Busan Biennale (2020) in Erscheinung getreten.
Seit November 2021 zeigt das mumok seine erste Einzelausstellung außerhalb Asiens. Huang Po-Chih (*1980 in Taoyuan) gehört einer Generation von Künstler*innen an, die in einer Ära demokratischer Reformen und hohen Wirtschaftswachstums in Taiwan sozialisiert wurde. Nach der Aufhebung der Einparteienherrschaft und des Kriegsrechts 1987 transformierte sich Taiwan in eine kapitalistisch-neoliberale, demokratisch verfasste Gesellschaft. Der politische Status Taiwans bleibt jedoch um- stritten – ein Ergebnis des chinesischen Bürgerkriegs, dessen Verlierer sich 1949 unter der Führung Chiang Kaisheks von China abspalteten und die Republik China auf Taiwan gründeten. Im Ringen mit den USA um die Vormachtstellung im Pazifischen Ozean baut die aufstrebende Großmacht Volksrepublik China erneut eine Drohkulisse gegenüber dem seit Aufhebung des Kriegsrechts 1987 demokratisch regierten Inselstaat auf, die auf eine Wiedervereinigung nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ abzielt, was aus der Sicht Taiwans einer Annexion gleichkäme.
Huangs multidisziplinäre Praxis, die diverse künstlerische Medien ebenso umfasst wie Literatur, Agrarwirtschaft, Textilmanufaktur und soziales Entrepreneurship, reflek- tiert den gewandelten Identitätsdiskurs Taiwans der letzten Jahrzehnte: von einer nach innen gerichteten, von der japanischen Besatzung, der Rolle im Kalten Krieg und den Souveränitätsansprüchen gegenüber der Volksrepublik China bestimmten Erzählung hin zu einer transnationalen Vision, die lokale, ostasiatische und globale Perspektiven gleichermaßen berücksichtigt. Grundlegende Mechanismen des globa- len Kapitalismus, von Produktion, Handel, Austausch und Konsum, die sich in viel- schichtigen Verschränkungen von Mikro- und Makroebene manifestieren, werden von Huang analysiert und neu aufgerollt. Der institutionelle Rahmen der Kunst fun- giert dabei als Plattform des sozialen Austausches.
Im Mittelpunkt von Huangs Präsentation im mumok steht die mehrteilige Werkse- rie Production Line – Made in China & Made in Taiwan (2014–21). Ausgehend von seinem Essay Blue Skin: Mama’s Story (2011–13), in dem er das wechselvolle Ar- beitsleben seiner Mutter schildert, thematisiert Huang darin den Aufstieg und Un- tergang der Textilproduktion in Taiwan und deren schrittweises Outsourcing nach Shenzhen in China. Huangs Mutter und andere ehemalige, nun arbeitslose Textilar- beiter*innen partizipierten an diesem Projekt als Produzent*innen für eine tempo- rär ins Leben gerufene Fertigungslinie von Jeanshemden, die von Shenzhen zu- rück nach Taipeh führt. Huang begriff die Shenzhen Sculpture Biennale (2014) und die Taipeh Biennale (2014) als Plattformen für die Produktion in mehreren Fertigungsschritten sowie den Verkauf, um damit zu untersuchen, wie „Kunst (in Form von Gütern oder Veranstaltungen) im Rahmen komplexer sozialer Beziehun- gen neue Bedeutungen und Definitionen einführen kann“.
Blue Elephant, der Titel der Ausstellung, steht als Sinnbild für die Arbeitsrealität in der taiwanesischen Textilindustrie und verknüpft individuelles (Er)Leben mit Gesell- schaftlichem. Er spielt auf Huang Po-Chihs Mutter und auf deren dauerhafte körper- liche Belastungen durch ihre Arbeit als Näherin an und verweist gleichzeitig auf eine Metapher, die die Taiwanesische Regierung zu Propagandazwecken eingesetzt hatte, um die Arbeitsmoral der Textilarbeiter*innen zu erhöhen.
In seiner neuesten Videoarbeit Seven People Crossing the Sea (2019–21) verhan- delt Huang die globalen sozioökonomischen Transformationen in Ostasien in den Erfahrungshorizonten individueller Protagonist*innen. Diese Arbeit verspannt reale und fiktive Elemente rund um die Lebensgeschichte von Ho Ying, einem illegalen chinesischen Immigranten, der auf der Suche nach seinem „Hong Kong Dream“ zum Verkäufer auf dem Textilmarkt Pang Jai in Hongkong wurde. Dieser für die lo- kale Bevölkerung wichtige soziale Hub droht aktuell den Stadtentwicklungsplänen der Hongkonger Regierung zum Opfer zu fallen. Als einer der letzten verbleiben- den Standbesitzer hat Ho Ying eine breite „Anti-Relocation“-Bewegung initiiert, die Fragen zur Legitimität der Händler*innen wie auch zur Erforschung von deren sozi- alen Lebensräumen angestoßen hat.
Kuratiert von Heike Eipeldauer
Katalog zu Ausstellung: Huang Po-Chih. Blue Elephant
Herausgegeben von: Heike Eipeldauer, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 2021
Vorwort von: Karola Kraus, Heike Eipeldauer
Texte von: Heike Eipeldauer, Huang Po-Chih, Amy Cheng
Format: 14,5 x 21,5 cm
Umfang: 160 Seiten
Abbildungen: Farbabbildungen
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-902947-94-9 (mumok), 978-3-7533-0151-8 (Walther und Franz König)
Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln
Preis: € 14,90 (Versandkosten: Österreich € 5,00, innerhalb der EU € 16,00, weltweit auf Anfrage)
Biografie
Huang Po-Chih (*1980 in Taoyuan, lebt und arbeitet in Hsinchu, Taiwan) schloss 2011 sein Studium an der Taipei National University of the Arts in Taiwan ab. Einzel- ausstellungen u.a.: 500 Lemon Trees: An Organic Archive, Taipei Fine Arts Museum, Taipei, Taiwan (2016). Gruppenausstellungen u.a.: The 8th Shenzhen Sculpture Biennale at OCT Contemporary Art Terminal (OCAT), Shenzhen, China (2014); Taipei Biennale, Taipei Fine Arts Museum, Taipei, Taiwan (2014 und 2016), Performa 19, Performa Hub, New York, USA (2019); Busan Biennale, Busan, Südkorea (2020). Auszeichnungen: 8. Taishin Arts Award (2009), Großer Preis Taipei Arts Awards (2013); Hugo Boss Asia Art Award (2015); Prudential Eye Award (2016).
Die Ausstellung und der Katalog wurden vom Ministry of Culture, Taiwan unter- stützt.
Ein besonderer Dank gilt unseren Medienpartnern Der Standard, Falter, Wien live und Ö1.