Ways of Freedom. Jackson Pollock bis Maria Lassnig
Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert auch einen Wendepunkt in der modernen Malerei: Die Herbstausstellung Ways of Freedom. Jackson Pollock bis Maria Lassnig der ALBERTINA MODERN widmet sich dem Abstrakten Expressionismus der New York School, die nach 1945 einen fulminanten Siegeszug in Europa feiert.
Als Ausdruck individueller Freiheit erhält die spontane künstlerische Geste große Bedeutung, das Unterbewusste wird Grundlage der Kunst und gleichzeitig Universalsprache der freien Welt im Ost-West-Konflikt.
Abstraktion ist auch in Bezug auf Frauen in der Kunst die Stunde Null: Erstmals in der Kunstgeschichte sind in dieser Kunstrichtung genauso viele Frauen wie Männer künstlerisch tätig. Künstlerinnen werden zu Pionierinnen: Elaine de Kooning, Joan Mitchell, Judit Reigl und Maria Lassnig nutzen die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks für die Emanzipation der Frau.
15. Oktober – 22. Jänner 2023 ALBERTINA MODERN
Wettstreit der Ideologien
Mit dem Sieg über den Faschismus in Europa geht die Malerei völlig neue Wege, die Kunst vollführt einen Befreiungsschlag von allem, was man bis dato kennt. Abstraktion wird zur Weltsprache der freien Welt: „Die europäischen Avantgardekünstler im amerikanischen Exil machen New York neben Paris zu einem Zentrum, das neue Maßstäbe setzt: mit dem Abstrakten Expressionismus in den USA und dem Informel in Paris wendet sich eine junge Künstlergeneration von den Stilrichtungen der Zwischenkriegsjahre ab. Statt figurativer Darstellung oder geometrischer Abstraktion verfolgt sie einen ungestüm-expressiven, bisher ungekannten, Umgang mit Form, Farbe und Material. Das Unterbewusste wird zur Grundlage der Kunst von Pollock und Rothko. Die surrealistische Technik des Automatismus wird zum Ausgangspunkt einer dynamisch-expressiven und spontanen Malerei“, so ALBERTINA MODERN Direktorin und Kuratorin der Ausstellung Angela Stief.
Die Ausstellung veranschaulicht deutlich das kreative Wechselspiel zwischen
Abstraktem Expressionismus und informeller Malerei im transatlantischen Dialog ab Mitte der 1940er-Jahr: „Entgegen der NS-Kunst und dem sozialistischen Realismus wird die US-Abstraktion Teil des ideologischen Wettstreits über die Frage, wer die bessere Gesellschaft repräsentiert: die Autonomie der Kunst mit ihrer völligen Freiheit und Enthaltsamkeit gegenüber der Realität oder der sozialistische Realismus im Dienst der Propaganda, der zur offiziellen Kunstdoktrin der kommunistischen Länder und der Sowjetunion wird“, so Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor der ALBERTINA.
Das Unbewusste als Grundlage der Kunst
Nach den Eindrücken zweier Weltkriege, der aufstrebenden Raumfahrt und der neuen nuklearen Herausforderung entwickelt sich mit dem abstrakten Expressionismus eine ‚Stunde Null‘ in der Kunst: das Unbekannte und Unbewusste im Sinne Freuds und Jungs wird Grundlage für existentialistische Fragestellungen. Die Kunst will unabhängig sein, nicht im Dienst von Staatsmacht oder Ideologie stehen. Dieser Höhepunkt künstlerischer Autonomie steht nichtsdestotrotz für den liberalen Westen, in dem Demokratie statt Einparteiensystem, freie Marktwirtschaft statt Planwirtschaft gelten.
Sieg des Individualismus
KünstlerInnen wie Jackson Pollock, Lee Krasner, Franz Kline und Joan Mitchell finden im Action- Painting eine intersubjektive Ausdrucksform. Zudem schafft die großformatige,
flächige Farbfeldmalereien etwa von Mark Rothko, Barnett Newman, Robert Motherwell und Clyfford Still einen meditativen Raum zur Auseinandersetzung mit den Grundfragen menschlicher Existenz.
Auch die surrealistische Technik des Automatismus finden sich in den emotionalen, energetischen und dynamischen Werken wieder. Methodik und Technik gehen hier neue Wege: Große Formate von bis zu sechs und mehr Meter Länge wie bei Georges Mathieu sollen ein neues Verständnis beim Betrachter auslösen. Das Publikum wird Teil des Bildes, soll mit ihm zusammenwachsen und zur Selbstreflektion angehalten werden. Die Werke zeigen eine unmittelbare Entäußerung, entstehen in dynamischen, energiegeladenen Prozessen und wenden dabei neue Techniken wie Action Painting oder Farbfeldmalerei an. Farbe wird durch Spritzen, Tropfen oder Gießen aufgebracht.
Künstlerinnen der Abstraktion
Der abstrakte Expressionismus ist auch in Bezug auf Frauen in der Kunst eine Stunde Null: Dass Frauen in den 1950er Jahren einen wichtigen Beitrag zur Ästhetik der abstrakten Malerei leisten, ist erst in allerjüngster Zeit durch Forschungen und Ausstellungen ins öffentliche Bewusstsein getreten. Dass Künstlerinnen wie Elaine de Kooning, Joan Mitchell, Judit Reigl und Maria Lassnig auf beiden Seiten des Atlantiks einerseits die avanciertesten Kriterien des ästhetischen Kanons jener Zeit erfüllen und selbstständig weiterentwickeln, andererseits die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks für eigene emanzipatorische Anliegen nutzen, zeugt von Selbstbewusstsein und Originalität. Künstlerinnen sind damals tatsächliche Pionierinnen. Sie emanzipieren sich von der jahrhundertealten Rolle der Frau als Modell und passive Muse ebenso wie vom idealisierenden männlichen Sehnsuchtsbild.
Von den 33 KünstlerInnen der Ausstellung wird durch die gezeigten 13 Künstlerinnen die Wichtigkeit von Frauen für den abstrakten Expressionismus unterstrichen.
Abstraktion in Österreich nach 1945
Auf Augenhöhe mit internationalen Größen zeigen KünstlerInnen in Österreich großes Gespür für den Zeitgeist und setzen sich teilweise auch auf Reisen intensiv mit den internationalen künstlerischen Entwicklungen auseinander. 1951 zeigen Maria Lassnig und Arnulf Rainer nach einem Aufenthalt in Paris eine Informel-Ausstellung in Klagenfurt. 1956 bildet sich unter der Ägide von Monsignore Otto Mauer die Malergruppe der Galerie St. Stephan mit Hollegha, Mikl, Prachensky und Rainer. Georges Mathieu greift in Wien den abstrakten Freiheitsbegriff auf: Seine monumentale Arbeit entstand 1959 im Rahmen einer Mal-Aktion am Fleischmarkt. Dem gegenüber steht in der Ausstellung in der Albertina Modern das zehn Meter große Werk Rot auf Weiß von Markus Prachensky aus der Serie der Peinture Liquide, das durch kalligrafische Anleihen besticht.
Die Ausstellung spannt den Bogen von der ersten bis zur zweiten Künstlergeneration dieser Kunstrichtung: In Österreich zählen hierzu Hollegha, Mikl, Lassnig, Prachensky und Staudacher, die von einer immer aktionistischeren Generation um Brus oder Schilling abgelöst werden.
Eine Schau der Superlative
Präsentiert werden in der ALBERTINA MODERN auf 1.500 Quadratmetern 85 Arbeiten – einige sind seit erstmals seit Jahrzehnten wieder zu sehen – von 33 KünstlerInnen: darunter internationale Größen wie Jackson Pollock, Joan Mitchell, Mark Rothko, Mary Abbott, Perle Fine, Sam Francis, Helen Frankenthaler, Grace Hartigan, Hans Hartung, Hans Hofmann, Wolfgang Hollegha, Franz Kline, Elaine de Kooning, Lee Krasner, Maria Lassnig, Morris Louis, Georges Mathieu, Robert Motherwell, Ernst-Wilhelm Nay, Barnett Newman, Markus Prachensky, Arnulf Rainer, Judit Reigl, Hans Staudacher und Clyfford Still im Dialog.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Museum Barberini, Potsdam, mit großzügiger Unterstützung der Levett Collection, der ASOM Collection, der Fondation Gandur pour l’Art & Genève.