Ai Weiwei. In Search of Humanity
Ai Weiwei ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, ein unermüdlicher Aktivist und Kritiker autoritärer Systeme. In Search of Humanity befasst sich eingehend mit dem Spannungsfeld zwischen Macht und Individuum und der künstlerischen Stellungnahme in Ai Weiweis Schaffen. Immer wieder sind es Machtstrukturen und die Mechanismen der Herrschaftsausübung, die der Künstler thematisiert. Unablässig schaut er stets dort genauer hin, wo er Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Gefahr sieht.
Ausstellungsdaten
Ausstellungsdauer: bis 4. September 2022
Ausstellungsort: ALBERTINA MODERN, Erdgeschoß
KuratorInnen: Dieter Buchhart, Kurator der Ausstellung Elsy Lahner, Kuratorin der ALBERTINA
Werke: 144 Objekte
Katalog: Erhältlich auf deutsch und englisch um EUR 39,90 im Shop der ALBERTINA MODERN und der ALBERTINA sowie unter
www.albertina.at
www.albertina.at/albertina-modern
Öffnungszeiten: Täglich 10 – 18 Uhr
KuratorInnenführungen:
28.3.2022 | 16.30 Uhr | Dieter Buchhardt
26.4.2022 | 16.30 Uhr | Elsy Lahner
Filmprogramm im Stadtkino Wien:
Im Rahmen einer Kooperation zeigt das Stadtkino sieben Filme von und mit Ai Weiwei.
Termine unter www.stadtkino.at
Überraschende Rätselhaftigkeit
Die frühen Objekte Ais verknüpfen logisch und funktional nicht zusammengehörige Gegenstände zu einer überraschenden Rätselhaftigkeit: Eine Schaufel zieht sich einen warmen Pelz über, zwei Schuhe paaren sich wie ineinander verkeilte Mistkäfer. Er befreit die Dinge von ihrem Gebrauchswert und fügt Fundstücke zu einer neuen Objektwelt zusammen.
Dekonstruktion
Fragmente, Deformationen und Überreste aller Arten bevölkern Ais Werk. In ihm spiegelt sich das Erlebnis der schrecklichen Jahre der „Kulturrevolution“, ihres Vernichtungsfeldzugs im Dienst der maoistischen Umerziehung des Volkes.
Das ästhetische Prinzip der Destruktion sensibilisiert den Künstler für die Entdeckung zerstörter Skulpturen, deren Fragmente Ai wie kostbare Reliquien präsentiert. Später – unter dem Eindruck der bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien – fahndet er nach Bruchstücken, die die Zerstörungswut von Krieg anprangern.
Dropping a Han Dynasty Urn / Eine Urne aus der Han-Dynastie fallen lassen
Wer bestimmt, was kostbar ist? Ist ein Gegenstand nur deshalb wertvoll, weil er eine bestimmte Zeit überdauert hat? Selbst wenn er zur Zeit seiner Herstellung ein Massenartikel war? Denn genau das trifft auf diese Urne aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) zu, die Ai Weiwei 1995 zerschmettert. In den drei Schwarz- Weiß-Fotos ist diese subversive Aktion festgehalten.
Readymades
All diese Readymades – das Laufband von Julian Assange oder der mit geheimem NSA- Material gefüllte Stoffpanda– lassen uns die Welt auf ungebräuchliche Weise wahrnehmen. Ohne das Arrangement der von Flüchtlingen am Strand hinterlassenen Schwimmwesten, die sich wie eine Lotosblume um eine tonnenschwere Kristallkugel legen, würde die Katastrophe der Migranten bald wieder unanschaulich werden: vergessen durch Gewöhnung.
Assange’s Treadmill / Laufband von Assange
Für Ai Weiwei erfüllt der investigative Journalismus in einer Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Daher ist er stets ein Unterstützer von Julian Assange, dem Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, deren Ziel es ist, geheim gehaltene Dokumente der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 2012 erhält Assange Asyl von Ecuador und verbringt die folgenden sieben Jahre als politischer Flüchtling in der ecuadorianischen Botschaft in London. Dort besucht Ai Assange im Sommer 2016, um ihn zu interviewen. Im Oktober erhält er als Geschenk dessen Laufband, das Ai in der Folge zum Kunstwerk im Sinn eines Readymade erklärt.
Wer selbst nie die Erfahrung gemacht hat, auf kleinstem Raum eingesperrt zu sein – ohne zu wissen wie lange –, kann sich diesen Zustand nur annähernd vorstellen. Ai und Assange teilen dieses einschneidende Erlebnis. Das Laufband als eine Art elektrisches Hamsterrad, bei dem man sich niemals von der Stelle bewegt, führt uns die tagtägliche Monotonie und Aussichtslosigkeit dieser Situation vor Augen.
Crystal Ball / Kristallkugel
Bei seinem Aufenthalt auf Lesbos sieht Ai im Dezember 2015 das Ufer der Insel mit Schwimmwesten und Bojen übersät, die von den Flüchtlingen bei ihrer Überquerung des Mittelmeers benutzt worden sind. Schwimmwesten tauchen daher in einigen seiner Installationen und Skulpturen zum Thema Flucht auf. Hier bilden die Westen eine Lotos- oder Seerosenblüte, in deren Mitte eine Kristallkugel ruht. Vielleicht gewährt sie einem nach Krieg und Not, nach dem Verlassen der Heimat einen Blick in die ungewisse Zukunft.
Metamorphose
Ein weiteres Gestaltungsprinzip ist die Metamorphose. Die Verwandlung mittels Marmor etwa setzt den Dingen ein Denkmal: Es sind Erinnerungen an seine Kindheit, Traumata seiner Gefangenschaft, Türen abgerissener Häuser, die der Modernisierung Chinas zum Opfer gefallen sind. Ai präsentiert seine Handschellen im kostbaren Gefäß einer edlen Vitrine oder stellt steinerne Monumente auf einen Sockel.
Ertrunkene Flüchtlinge, von Heuschrecken leergefressene Kornfelder oder die Navigationsroute der Sea-Watch 3 baut Ai aus bunten Legosteinen zu beunruhigenden Bildern. Lego, das berühmteste Spielzeug der Welt, verliert seine kindliche Unschuld. Der visuelle Scherz bekommt eine tiefere Bedeutung.
Die von diesen Metamorphosen ausgehende Verwirrung, die Verwandlung von Dingen in unbrauchbare Monumente, öffnet das Tor zu weitreichenden politischen Assoziationen und Interpretationen. Nie war Konzeptkunst anschaulicher, sinnlicher und engagierter.
Biografie des Künstlers
1957 Geboren in Peking
1958–1976 Kindheit und Jugend in der Verbannung
Ai Weiweis Vater Ai Qing, einer der berühmtesten Dichter Chinas, gilt als Regimekritiker und wird als „Rechtsabweichler“ mit seiner Familie verbannt. Während Mao Zedongs „Kulturrevolution“ – der vor keiner Zerstörung und Unterdrückung zurückschreckenden, groß angelegten Umerziehung des chinesischen Volkes – leben sie in einem Lager in der Provinz Xinjiang unter ärmlichsten Bedingungen in einem Erdloch. Ai Qing wird die Reinigung der Latrinen zugeteilt, täglich ist er öffentlichen Demütigungen ausgesetzt. Mit dem Tod von Mao darf er nach Peking zurückkehren und wird rehabilitiert.
1978-1979 Als junger Künstler in Peking
Ai Weiwei schreibt sich an der Pekinger Filmakademie ein. Sein Jahrgang ist der erste, der seit der „Kulturrevolution“ zugelassen wird. Er nimmt an der Ausstellung der Künstlergruppe Stars teil, die sich von den ästhetischen Leitlinien der Kommunistischen Partei Chinas distanziert.
Unter dem neuen Vorsitzenden der Partei, Deng Xiaoping, beginnt der ungebremste wirtschaftliche Aufschwung Chinas, eine radikale Modernisierung der Gesellschaft mit kapitalistisch ausgerichteter Marktwirtschaft. Der Einparteienstaat und die Einschränkung der Meinungsfreiheit werden nicht in Frage gestellt.
1981–1993 Künstlerische Prägung in den USA
Nach dieser Öffnung zum Westen geht Ai als einer der Ersten zum Studium in die USA. In New York ist er fasziniert vom Minimalismus, von Konzept- und Raumkunst, Performance, Dada und Pop Art. Er gelangt zur wegweisenden Erkenntnis, dass Kunst auch eine Lebensweise, eine Haltung sein kann.
1993–1997 Rückkehr nach China: Umgang mit chinesischem Kulturgut
Ai zieht zurück nach Peking, um sich um seinen kranken Vater Ai Qing zu kümmern, der 1996 stirbt. Er sammelt neolithische Gefäße und alte chinesische Möbel, deren Handwerkskunst er bewundert, welche er aufgrund der rigorosen Modernisierung und zunehmenden kapitalistischen Massenproduktion gefährdet sieht. Er bezieht die uralten Traditionen Chinas in seine Kunst ein. Zugleich veröffentlicht er Untergrundpublikationen zur chinesischen Avantgarde.
2000-2008 Tätigkeit als Architekt
Ai gründet sein Design- und Architekturstudio Fake Cultural Development Ltd. Gemeinsam mit den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entwirft er das Nationalstadion für die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking. Später kritisiert er die Abhaltung der Spiele als Propaganda des chinesischen Regimes.
2005 Blog für Meinungsfreiheit, gegen Korruption und Zerstörung der chinesischen Kultur
Ai startet einen regimekritischen Blog, in dem er sich gegen Zensur, die Beschränkung individueller Freiheit und die Zerstörung der Kultur Chinas wendet. Er erreicht damit erstmals ein breites Publikum. Das Chinesische Ministerium für Staatssicherheit startet 2003 das Projekt „Goldener Schild“, auch „Große Firewall von China“ genannt: Alle als subversiv eingestuften Online-Informationen werden staatlich überwacht. Auch Ais Blog wird zunächst zensiert und 2009 geschlossen. Sein Name wird gänzlich aus dem chinesischen Internet eliminiert.
Ab 2007 Erste internationale Erfolge
Große internationale Erfolge stellen sich ein, u. a. auf der documenta in Kassel (2007), im Haus der Kunst in München (2009) und in der Tate Modern in London (2010).
2008 Erdbeben in Sichuan
Bei dem verheerenden Erdbeben in Sichuan mit über 90.000 Toten sterben mehr als 5000 Kinder, weil ihre Schulen mit minderwertigem Baumaterial gebaut worden sind: Ai beschuldigt die korrupten Behörden und die Bauwirtschaft der Bereicherung. Da die Behörden die Angelegenheit vertuschen wollen, recherchiert Ai in mehrjähriger Arbeit mit Dutzenden Helfern die Anzahl der in den Schulen umgekommenen Kinder und veröffentlicht deren Namen.
2009-2011 Staatliche Repressalien und Festnahme
2009 wird Ai zum ersten Mal festgenommen, was ihn daran hindert als Zeuge zugunsten des Aktivisten Tan Zuoren auszusagen. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 an den chinesischen Systemkritiker Liu Xiaobo greift die Kommunistische Partei Chinas hart gegen mehr als 200 Dissidenten durch: Anwälte, Aktivisten und Schriftsteller werden verhaftet und zum Schweigen gebracht. Auch Ais Studio wird wegen angeblich „nicht sachgemäßer Nutzung“ von den Behörden abgerissen. Die Geheimpolizei hält Ai ohne Anklage und ohne Verurteilung für unbestimmte Zeit an einem unbekannten Ort fest.
2011-2015 Dissident in China
Nach 81 Tagen und internationalen Protesten kommt Ai gegen Kaution frei, steht aber weiterhin unter strengster Überwachung. Es wird ihm untersagt zu reisen. Ai äußert weiterhin Kritik am Regime und macht mithilfe seiner Kunst selbst die Umstände seiner
Gefangenschaft publik. Als Dissident setzt er sich auch über China hinaus für politische Transparenz und Meinungsfreiheit ein.
2015 Flüchtlingskrise: In Search of Humanity
Erst 2015 erhält Ai seinen Reisepass von den chinesischen Behörden zurück. Er zieht nach Berlin. Dort wird er im Herbst Zeuge der Auswirkungen der Flüchtlingskrise und der damit verbundenen politischen Diskussionen in Europa. Fortan macht er die weltweite Situation Flüchtender, die er neben der Einschränkung der Meinungsfreiheit als eine der größten humanitären Krisen versteht, zu seinem wichtigsten Thema.
Ab 2015 Internationaler Menschenrechtsaktivist
Durch die Verlagerung seines Lebensmittelpunkts nach Europa positioniert Ai sich in seiner Rolle als Künstler und Aktivist noch stärker als Verfechter von Menschenrechten und demokratischen Grundwerten und bezieht bei aktuellen Ereignissen Stellung.
Ai Weiwei lebt und arbeitet derzeit an mehreren Orten, darunter Peking, Berlin, Cambridge (England) und Montemor-o-Novo bei Lissabon.
Weitere Arbeiten:
Study of Perspective / Perspektivstudie
Ebenfalls auf dem Platz des Himmlischen Friedens fotografiert Ai 1995 erstmals seinen ausgetreckten Mittelfinger. Noch eindeutiger und dezidierter wendet er sich damit gegen die aktuellen Machthabenden und bezieht Stellung. In weiterer Folge weitet Ai seinen Protest aus, beschränkt ihn nicht mehr nur auf China. Wie ein Tourist nimmt er weltweit bekannte Bau- und Kunstwerke ins Visier und reckt dabei seinen Arm mit dem Stinkefinger mittig ins Bild. Mit dieser Geste bezieht er sich stets auf Symbole und Signifikanten politischer oder kultureller Macht wie das Weiße Haus in Washington, den Eiffelturm in Paris, die Skyline von Hongkong oder den Reichstag in Berlin. Nie richtet sich die Handbewegung gegen Menschen, da der Künstler in jedem oder jeder Einzelnen das Potenzial sieht, etwas zum Positiven zu bewegen.
Mit dem Titel Perspektivstudie verwendet Ai die in der Kunst gebräuchliche Bezeichnung für eine räumliche Vorzeichnung und macht damit klar, dass es sich hier um Kunst handelt. Und anstatt, wie sonst üblich, die Entfernung mit dem Daumen zu peilen, verwendet er seinen Mittelfinger. Andererseits verweist er mit dem Titel auf seinen eigenen Standpunkt und auf die Perspektive – die Aussicht –, mit seinem Handeln die Zukunft zu verändern. Wir sehen die Szenen aus der Sicht des Künstlers.
Genau genommen könnte es aus diesem Blickwinkel auch unser Arm sein, der ins Bild ragt. Auf diese Weise werden wir aufgefordert, unsere eigene Position gegenüber Autoritäten zu hinterfragen und selbst für autonome Rechte und freie Meinungsäußerung einzustehen.
Fahrräder
Das erste Fahrrad-Objekt Ai Weiweis entsteht 2003. Wie schon in seinem Frühwerk bezieht er sich damit auf Marcel Duchamp und dessen Readymades, konkret auf das Fahrrad-Rad (1913), für das Duchamp ein Vorderrad samt Gabel verkehrt herum auf einen Hocker montiert hat.
Das Fahrrad hat in China eine ganz eigene Bedeutung, denn das Land galt lange als Fahrradnation. Ai selbst hat als Kind erlebt, wie wichtig es war, ein eigenes Fahrrad als Fortbewegungsmittel zu besitzen. Noch in den späten 1980er-Jahren gibt es in China kaum motorisierte Privatfahrzeuge, die Fahrräder dominieren den Stadtverkehr. Im Laufe der Jahrzehnte wird sich das ändern. Die Städte wachsen, und die Distanzen sind nicht mehr mit dem Fahrrad zu bewältigen. Immer mehr Menschen können sich ein Auto leisten und steigen um, was zur hohen Smogbelastung in den chinesischen Großstädten beiträgt.
Alle diese Aspekte vereint Ai in seinen Fahrrad-Werken. Er zieht dafür meist ein bestimmtes Fabrikat der Shanghaier Marke Forever heran. Ai montiert die Fahrräder so aneinander, dass sie nicht mehr funktionstüchtig sind, ohne Lenker, Pedale und Ketten, teils ohne Sattel. Er spielt damit auf die chinesische Bevölkerung an, auf deren Synchronisierung und Uniformierung, deren Zusammenspiel als Kollektiv, das jedoch dem Einzelnen kaum Bewegungsfreiheit ermöglicht.
Marmor
Wenn Ai Weiwei Skulpturen aus Marmor anfertigen lässt, geht es ihm darum, den Objekten, die er nachbildet, im wahrsten Sinn des Wortes mehr Gewicht zu verleihen, sie zu Monumenten zu machen. Der vom Künstler verwendete Marmor stammt aus dem Taihang-Gebirge in Fangshan, einem Stadtteil von Peking, wo der reinweiße Stein seit mehr als eintausend Jahren abgebaut wird, um daraus Paläste, Tempel und Denkmäler zu schaffen. Wie in Europa gilt Marmor in China als Symbol für Macht, Erhabenheit, Beständigkeit und Ewigkeit. Daher kommt das Material auch unter kommunistischer Führung zur Anwendung, wie am Beispiel des Mausoleums von Mao Zedong zu sehen ist. Ai bezieht sich bei der Verwendung von Marmor auf diese Zuschreibungen und spielt mit unserer Wahrnehmung.
Das Marmor-Sofa, das wie ein knautschiger, schon leicht durchgesessener Lederfauteuil aussieht, entpuppt sich als kalte, harte und daher zum Sitzen eher unbequeme Steinskulptur. Der Künstler bezieht sich hier auf ein spezifisches Sofamodell, das in den 1970er-Jahren in Millionen von Wohnzimmern zu finden war und das für die chinesische Mittelschicht zum Zeichen für häuslichen Komfort und gesellschaftlichen Status wurde. Es lässt aber ebenso an jenen marmornen Lehnsessel denken, in dem der Vorsitzende Mao, ebenfalls in Stein gemeißelt, im Vorzimmer seines Mausoleums thront.
(Feet) Buddha/ (Füße) Buddha (Zitat von Ai Weiwei)
„Diese Füße stammen zum Großteil von den beiden größten Stätten buddhistischer Skulptur in der Geschichte Chinas: aus Quyang in der Provinz Hebei und Qingzhou in der Provinz Shandong. Die meisten Objekte datieren etwa 1500 Jahre zurück auf die Nördliche Wei-Dynastie oder die Nördliche Qi-Dynastie. Nach einer Revolution oder einem Dynastiewechsel wurden solche Gegenstände häufig zerstört. Im vorliegenden Fall geschah dies bereits kurz nach Herstellung der Skulpturen. Diese Fragmente kultureller Erzeugnisse sind ein Beleg politischer Macht. Die Konstruktion und
Destruktion religiöser Bilder oder Kunstgegenstände war schon immer ein Mittel, die Gedanken und Ästhetik der Menschen zu kontrollieren.“
Odyssey / Odyssee (Zitat von Ai Weiwei)
„Der Kontext der Flüchtlingskrise ist wesentlich breiter. Unterschiedliche Geschichten, regionale und religiöse Konflikte, wirtschaftlicher Druck und Umweltkrisen haben zu dem beigetragen, was wir als Flüchtlingskrise begreifen. Mein Team und ich untersuchten dies, beginnend bei den frühesten menschlichen Wanderungsbewegungen, die bis ins Alte Testament zurückreichen. Besonders für die Tapete versuchten wir eine visuelle Sprache zu entwickeln, die unmittelbar beeinflusst war von frühen griechischen und ägyptische Reliefschnitzereien, Tongefäßen und Wandmalereien. In diesen Kontext setzten wir die neuen Konflikte mit Bildern, die wir auf Social Media und im Internet fanden, sowie Bildern von Ereignissen, in die ich selbst involviert war. Jenseits der Bilder zogen wir auch Literatur sowie die politischen Verhältnisse der verschiedenen Epochen in Betracht. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis die Zeichnung vollendet war. Sie bezieht sich auf sechs Themen: Krieg, die Ruinen des Krieges, die Reise der Flüchtenden, die Überquerung des Meeres, die Flüchtlingslager sowie die Demonstrationen und Proteste.“
Circle of Animals / Zodiac Heads / Tierkreis-Zeichen / Zodiak-Köpfe
Im Yuanming Yuan, dem Alten Sommerpalast bei Peking, gab es einen Garten- und Palastbereich, der nach europäischem Vorbild von Jesuiten entworfen worden war. Teil davon war eine Wasseruhr, ein Brunnen mit zwölf Wasserspeiern, wobei jeder Kopf einem chinesischen Tierkreiszeichen entsprach.
Während des Zweiten Opiumkriegs im Jahr 1860 wurde der Alte Sommerpalast von englisch-französischen Truppen in einem Vergeltungsschlag weitgehend zerstört und geplündert. Auch die Köpfe der Brunnenfiguren wurden entfernt. Einige gelten seither als verschollen, andere befanden sich in Privatbesitz und tauchten erst in den letzten Jahren bei Auktionen auf, wo sie um Millionenbeträge verkauft wurden. Da die Zerstörung des Yuanming Yuan in der chinesischen Bevölkerung als Trauma nachwirkt und der Verkauf der Tierköpfe von vielen als ein Bohren in offenen Wunden empfunden wird, wurden die Auktionen von Protesten begleitet, die die Rückgabe der Nationalschätze forderten. Ein Kopf stellte sich als Fälschung heraus, sieben der zwölf Köpfe befinden sich inzwischen in chinesischen Museen.
Die vergoldeten Bronzeköpfe Ai Weiweis entsprechen einer Neuinterpretation der Figuren. Für ihn wirft der Tierkreisbrunnen eine Reihe von Fragen zum Umgang mit Kulturgütern, zu den Beziehungen zwischen West und Ost sowie zur Differenzierung zwischen Original, Nachahmung und Fälschung auf. Aus seiner Sicht stellen die Tierköpfe keine nationalen Schätze dar, da hier Europäer den chinesischen Geschmack bedienten, weshalb sie ein frühes Beispiel für globalen Konsum darstellen. Der Künstler hat die Tierköpfe nach seinen eigenen Vorstellungen nachgebaut, um den Kreis wieder zu vervollständigen und um mit seinen Kopien auch das Original zu hinterfragen.