Albertina. Robert Longo
Robert Longo (*1953, Brooklyn) ist für seine monumentalen hyperrealistischen Bilder bekannt: kraftvolle, dynamische Kohlezeichnungen, die einen durch die virtuose Technik und die Bildmächtigkeit des Motivs in ihren Bann ziehen.
Als Vorlagen wählt er Fotografien, die dramatische Situationen im größten Spannungsmoment festhalten. Dabei geht es dem Künstler um das Aufzeigen von Macht – in Natur, Politik und Geschichte. Longo verwendet tausendfach publiziertes Bildmaterial, das Teil unserer Populärkultur, oft unseres kollektiven Gedächtnisses geworden ist.
Er isoliert und reduziert die Motive mit dem Ziel der Potenzierung der Bildwirkung. Dank der Vergrößerung einerseits und der die Hell-Dunkel-Gegensätze erheblich zuspitzenden Lichtregie andererseits stehen wir vor riesigen, nie zuvor gesehenen theatralischen Bildern.
Longo und die Pictures-Generation
Longo galt bereits in den späten 1970er-Jahren als Vertreter der sogenannten PicturesGeneration, einer freien Gruppe New Yorker Künstlerinnen und Künstler, die sich in ihren Werken kritisch mit Massenmedien und Populärkultur auseinandersetzten. Mit der ikonischen großformatigen Zeichnungsserie seiner Men in the Cities (1979–1983) in ihren extremen, dynamischen Posen brachte er in den 1980er-Jahren den spannungsgeladenen und fragilen Zustand jener Zeit treffend zum Ausdruck. Finanzieller Aufschwung, Immobilienboom und Yuppie-Kultur dominierten New York ebenso wie steigende Kriminalität, Drogenprobleme und soziale Ungleichheit, und polarisierten die Stadt. Der Neokonservatismus der Reagan-Ära sowie die Bedrohung des Kalten Kriegs trugen zu einem Klima der Unsicherheit bei. Longos streng formale Zeichnungen spiegeln dieses Gefühl wider. Die Figuren sind in »städtischen Uniformen und Film-Noir-Kleidung« dargestellt, vor weißem Hintergrund, im leeren Raum, jede isoliert für sich, eingefroren in einem Moment intensiver Bewegung und körperlicher Verzerrung.
Die Dramaturgie und die Komposition eines Bildes spielen in Longos Werk eine zentrale Rolle. In den God Machines (2008–2011) seinen Darstellungen religiöser Stätten, erzeugte er durch deren überwältigende Größe, durch Licht und Schatten sowie die gewählte Perspektive eine Atmosphäre der Ehrfurcht und Erhabenheit, die auch die Macht jener Institutionen zum Ausdruck bringt. Eine detailreiche Ausarbeitung eines Einschusslochs in Nahaufnahme, die uns jeden Riss und jeden Splitter im Glas erkennen lassen, zieht uns förmlich in die Gewalt des Augenblicks hinein. Durch die präzise Wiedergabe der Pilzwolke in Zentralperspektive vermittelt der Künstler nicht nur die ungeheure Gewalt, Brutalität und Zerstörungskraft des katastrophalen Ereignisses der Explosion einer Atombombe, sondern ebenso ein Gefühl der Faszination angesichts der erschreckenden Schönheit dieses Phänomens.
Raft at Sea
Es ist eines von Robert Longos beeindruckendsten und zugleich ergreifendsten Werken – Untitled (Raft at Sea) (2017) zeigt ein Schlauchboot auf hoher See, das überladen mit seiner Fracht tief im Wasser liegt. Die Menschen, zumeist Männer, die außen auf dem Schlauchring sitzen, befinden sich beunruhigend nahe an der Wasseroberfläche. Unter ihren Schwimmwesten tragen sie warme Jacken sowie Kapuzen und Mützen, was auf unwirtliche Temperaturen schließen lässt. Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass sich das Boot auf der Horizontlinie im oberen Bilddrittel befindet, im Bereich des Mittelpanels der monumentalen Kohlezeichnung. Den gesamten Bereich darunter bildet das dunkle Meer mit seinen bewegten Wellen, dem Boot und Passagiere ausgesetzt sind. Darüber erstreckt sich ein wolkenverhangener Himmel, der jedoch – zumindest ein wenig Hoffnung verheißend – nach rechts hin aufklart.