Eva Beresin. Thick Air
Eva Beresin. Thick Air
1.5. – 15.9.2024
Man könnte von der Begegnung zwischen Humor und Horror sprechen, vom Zusammentreffen des Schönen mit dem Hässlichen und Abstoßendem. In den Kunstwerken von Eva Beresin scheint sich das Fantastische mit dem Schrecklichen vermählt zu haben. In den malerisch-grafischen Welten der ungarischen Künstlerin, die seit 1976 in Wien lebt und arbeitet, begegnet man hybriden Gestalten, grotesken Figuren und seltsamen Fantasiewesen.
Die breite thematische Palette der Künstlerin, die das Skurrile genauso wie das Tragisch- Existenzielle beinhaltet, reicht von mittelalterlich anmutenden Grausamkeiten über alltägliche Banalitäten bis zu humorvoll-ironischen Episoden. Die künstlerischen Imaginationen scheinen einer Traumwelt entsprungen. Auf den Leinwänden Beresins tummeln sich Spukgestalten, die verwunschenen Tiefen entstiegen sind. Sie holt fantastische Wesen aus wunderbaren Universen in eine malerische Wirklichkeit – und mit ihren Skulpturen auch in eine dreidimensionale Realität.
Die kreative Kraft des Unbewussten
Beresins Freisetzung des Unbewussten und die damit einhergehende kreative Kraft ist eng mit der Familiengeschichte und Biografie der Künstlerin verwoben: Erst nach dem Tod der Mutter 2007 entdeckte Beresin deren Tagebücher, die diese 1945 schrieb, als sie der Shoah entkam. Wie in den meisten Familien der Überlebenden, wurde über dieses dunkle Kapitel nicht gesprochen. Beresin konnte das gefundene Tagebuch leserlich machen und erfuhr so erstmals vom Verlust unzähliger Familienmitglieder in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.
Die Wiederkehr des Verdrängten stand dann am Beginn einer künstlerischen Neuausrichtung, die an die mythologische Geschichte des Phönix aus der Asche denken lässt. Beresins Kunst erfasst das Unerträgliche, das Tragisch-Traumatische und das Existenzielle. Die Gewalt und die Wucht des Unbewussten thematisiert Beresin in jeder einzelnen ihrer Arbeiten. Humor als Relativierung einer bedrohlichen Umwelt – seit Jahrtausenden Kern jüdischer Überlebensstrategie – findet sich dabei in allen Werken Beresins auf vielfältige Weise wider:
In den malerisch-grafischen, vor fröhlichen Farben strotzenden Welten der Künstlerin begegnet man hybriden Gestalten, grotesken Figuren und seltsam anmutenden Fantasiewesen. Häufig stattet die Künstlerin die Dargestellten mit animalischem Verhalten aus. Vice versa tragen die vielen Tiere, die Beresins Gemälde bevölkern – Hunde, Katzen, Esel, Frösche, Kaulquappen, Vögel von der Eule bis zum Reiher, Tintenfische und ganze Heerscharen von Mäusen – menschliche Züge. Nicht zu vergessen die zahlreichen Stofftiere! Ein künstlerisches Universum tut sich auf, das mit Schalk und Schabernack zelebriert aus den Fugen geraten zu sein scheint. Momente des Nonsens, groteske Szenerien fügen sich zu einer Apotheose des Anderen, Rätselhaften und Randständigen.
Kunst der Gegensätze: Intimität vs. Öffentlichkeit, Abstraktion vs. Figuration
Die Verzerrung ordinärer Blickwinkel, Perspektivbrüche und die Verkehrung der Umstände erinnern an karnevaleske Zustände oder lassen an manieristisch überzeichnete Eskapaden denken. Für Beresin gibt es keine falschen Gesten, keine falsche Malerei.
»Ich liebe das Gefühl, mich auf der Leinwand zu verausgaben, zu entleeren und zu entladen«, sagt Beresin. Die Geschwindigkeit des Arbeitsprozesses und die Expressivität des künstlerischen Ausdrucks unterstreichen die Autonomie des Malaktes, der sich weitestgehend am Boden in der Horizontalen vollzieht. Nichts muss kaschiert werden. Nichts ist darstellungsunwürdig. Für Beresin gibt es keine Fehler, keine Ausrutscher, keine falschen Gesten, und letztendlich betont sie, dass keine falsche Malerei existiere.
Es gibt in Beresins Arbeiten immer wieder Momente der Entblößung, Schamgrenzen zwischen Intimität und Öffentlichkeit werden strapaziert. Selten formulierte und dennoch dominante Gesetze der Schicklichkeit hebt die Künstlerin lustvoll aus den Angeln. Das Wechselspiel von Verbergen und Entbergen spiegelt sich auch in ihrem Bildprogramm wider: ein Oszillieren zwischen Abstraktion und Figuration. Schemenhafte Figuren, die sich geisterhaft aus dem Hintergrund schälen, das Getümmel von Getier oder überdimensionierte nackte Füße scheinen uns in eine rätselhafte Reise ins Unterbewusstsein zu entführen.
Beresin sucht in ihrer Kunst nach Superlativen von existenziellem Ausmaß und findet sie in einer kraftvollen Ausdrucksweise. Ihre Gemälde beeindrucken durch monumentale Formate, die riesige Ausstellungswände füllen. Der weitläufige Arbeitsprozess in ihrem Atelier erinnert an die dynamischen Bewegungen von Gladiatoren in einer Arena. Die reine Freude der Künstlerin am Malen spiegelt die innere Notwendigkeit wider, Kunst zu schaffen. Ein stilistischer Grenzgang, möglicherweise sogar ein Wettstreit zwischen Form und Formauflösung.
Skulpturen als raumgreifende Gemälde
Neuerdings scheinen sich die Gestalten aus den Gemälden geschält zu haben, lebendig geworden zu sein. Figuren, geboren aus der Malerei, werden in einem nahezu animativen Akt eine Spur mehr zu einem Teil der Wirklichkeit. Beresin wollte wissen, wie ihre zweidimensionalen Geschöpfe aus anderen Perspektiven aussehen, und übersetzte sie kurzerhand in skulpturale Bildäquivalente.
Zunächst gestaltet die Künstlerin kleine, handliche Exemplare, lässt sie dann einscannen, digital vergrößern und als 3D-Prints drucken. Die einzelnen Teile werden schließlich zusammengesetzt und bemalt. Es entstehen kleine Szenerien, vor allem aber Tiere wie Hunde, Bären, ein Rhinozeros, aber auch schreiende Babys, ein Liebespaar.
»Ich bin das Bild und das Bild bin ich«
Eva Beresin unterstreicht in ihren Gemälden und Skulpturen die Unmittelbarkeit zwischen Künstlerin und Kunstwerk, auch im Sinne von »Ich bin das Bild und das Bild bin ich«. Eine maximale Identifikation, ja, vielleicht sogar Überidentifikation, spiegelt sich in ihren Selbstdarstellungen – im Unterschied zum klassischen Genre des Selbstporträts, das der Realität um vieles mehr verpflichtet ist.
In ihren Werken spielt die Künstlerin häufig eine Hauptrolle oder kommt als singuläres, den Bildraum einnehmendes Subjekt vor. Ihr typisches Alter Ego ist nackt, hat rote Lippen und rote Nägel – eine Hyperstilisierung ihrer Persona, die ganz im Widerspruch zum alltäglichen Auftreten der Künstlerin und ihrem gewohnten Understatement steht. Der Schabernack ist jedenfalls auch in ihren Skulpturen Querschnittsmaterie: Eva reinkarniert in einer grünen Mülltonne aus Plastik, auf der bereits ein Aasgeier Platz genommen hat, oder in einem anderen Werk – augenzwinkernd – sinnlich in voller Weiblichkeit.
1. Mai. – 15. September 2024; ALBERTINA / Pfeilerhalle
FOTOCULT Blog by Glaphyra Gusenbauer