Kunsthalle München präsentiert "Fantastisch real. Belgische Moderne von Ensor bis Magritte" 15. Oktober 2021 – 6. März 2022

Die Kunsthalle München präsentiert Meisterwerke der belgischen Moderne von ca. 1860 bis 1960. Etwa 130 Gemälde, Grafiken und Skulpturen veranschaulichen, wie die Kunst dieser Zeit die Grenzen von Fantasie und Wirklichkeit stets aufs Neue auslotet. Dabei rückt die schlichte Alltagsrealität ebenso in den Fokus wie die Geheimnisse und Rätsel jenseits der sichtbaren Welt.

René Magritte (1898–1967), Die Rache, 1938 oder 1939 47 × 35 cm, Aquarell auf Papier Königliches Museum der schönen Künste Antwerpen © René Magritte, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Ch. Herscovici, Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft Foto: Hugo Maertens

René Magritte (1898–1967), Die Rache, 1938 oder 1939
47 × 35 cm, Aquarell auf Papier
Königliches Museum der schönen Künste Antwerpen
© René Magritte, VG Bild-Kunst, Bonn 2021,
Ch. Herscovici, Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft
Foto: Hugo Maertens

Eine Kooperation mit dem Königlichen Museum für Schöne Künste Antwerpen.

Jan van Beers (1852–1927) Kaiser Karl V. als Kind, 1879 143 × 151 cm, Öl auf Leinwand Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft (CC0), Foto: Hugo Maertens

Jan van Beers (1852–1927)
Kaiser Karl V. als Kind, 1879
143 × 151 cm, Öl auf Leinwand
Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen
Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft (CC0), Foto: Hugo Maertens

Die Schau beleuchtet den spezifischen Weg der belgischen Kunst von realistischen Szenen des einfachen Volkes und atmosphärischen Landschaften über die fantastischen Maskeraden James Ensors bis zu den surrealen Welten von Paul Delvaux und René Magritte. Neben solchen großen Namen sind unter den etwa 40 ausgestellten Künstlern zahlreiche hierzulande kaum bekannte Maler wie Eugène Laermans, Constant Permeke oder Rik Wouters zu entdecken.

James Ensor (1860–1949) Die Intrige, 1890 91,5 × 150 cm, Öl auf Leinwand Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft (CC0), Foto: Hugo Maertens

James Ensor (1860–1949)
Die Intrige, 1890
91,5 × 150 cm, Öl auf Leinwand
Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen
Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft (CC0), Foto: Hugo Maertens

Zur faszinierenden Wirkung der belgischen Kunst trägt maßgeblich das Zusammenspiel zweier gegensätzlicher Kräfte bei: des Realen und des Fantastischen. In den Hinterzimmern der Realität haust das Übersinnliche; in ihren versteckten Winkeln lauert die Fantasie mit ihren Träumen und Mysterien. Dieses Phänomen basiert auf den wirklichkeitsgetreuen, detailgenauen Darstellungen der flämischen Malereitradition von Altmeistern wie Hieronymus Bosch oder Pieter Brueghel dem Älteren. In der Moderne entwickelt sich der Dualismus von Realem und Fantastischem zu einem zentralen Charakteristikum der belgischen Kunst. Einerseits bleibt sie, bis in den Expressionismus hinein, sehr stark einer realistischen Tradition verbunden. Andererseits wird, stets aus der Wirklichkeit heraus, immer wieder aufs Neue das Mysterium der Dinge beschworen.

1887 führte der einflussreiche Brüsseler Schriftsteller Edmond Picard das »reale Fantastische« (»le Fantastique réel«) als ästhetische Kategorie in seiner Heimat ein: Es blicke »misstrauisch auf das Leben, auf die Menschen, auf die Dinge und hat beunruhigende Gedanken dazu. Nichts ist so einfach, wie man glaubt. […] Es gibt Darunterliegendes, Mysterien.« Das Phänomen des realen Fantastischen verband im Bereich der Kunst Naturalisten und Symbolisten, hatte aber gleichzeitig auch eine politische Dimension: Die ästhetische Verschmelzung beider Bereiche wurde als Ausdruck einer Verschmelzung der zwei zentralen (kultur-)politischen Identitäten Belgiens wahrgenommen: die des französischsprachigen Wallonien und die des niederländischsprachigen Flandern.

Kunsthalle München

Mit Blick auf diese besondere Ausprägung der belgischen Moderne zeichnet die Ausstellung in zehn Kapiteln die Entwicklung der Kunst von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nach und verortet die Werke dabei in ihren kultur- und sozialgeschichtlichen Kontexten. Das erste Kapitel widmet sich mit Malern wie Henri Leys oder Alfred Stevens dem Historismus und der Salonmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts . Es vermittelt die Faszination der Künstler für Begebenheiten aus dem 16. Jahrhundert, als Städte wie Antwerpen einen bedeutenden wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung erlebten, und zeugt von dem Bestreben, für die junge Nation Bilder einer historischen Vergangenheit zu kreieren. Gleichzeitig wird hier das Interesse an Szenen des modernen Lebens oder Strömungen wie dem Japonismus offenbar, was die Orientierung an der internationalen Avantgarde in Paris veranschaulicht. Die belgische Ausprägung des Impressionismus und Neoimpressionismus wird im zweiten Kapitel thematisiert. Es war vor allem die 1883 gegründete Künstlervereinigung Les Vingt, die beiden Strömungen in Belgien zum Durchbruch verhalf. Die belgischen Impressionisten verbanden die neuen Einflüsse mit regionalen Traditionen und blieben stärker realistischen Tendenzen treu. Werke von Henry Van de Velde oder Theo Van Rysselberghe veranschaulichen, wie die belgischen Maler die neue, von Georges Seurat geprägte pointillistische Technik auf etablierte Gattungen wie Porträt und Genre anwandten und so innovative künstlerische Formate entwickelten.

Henry van de Velde (1863–1957) Frau am Fenster, 1889 113,5 × 135 cm, Öl auf Leinwand Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen © Henry van de Velde, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft, Foto: Hugo Maertens

Henry van de Velde (1863–1957)
Frau am Fenster, 1889
113,5 × 135 cm, Öl auf Leinwand
Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen
© Henry van de Velde, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft, Foto: Hugo Maertens

Zur selben Zeit spiegeln sich in der Kunst auch die gesellschaftspolitischen Spannungen in Belgien: 1886 fanden umfassende Streiks und Widerstandsaktionen belgischer Arbeiter statt. Nachdem bereits in den 1860er-Jahren von Gustave Courbet inspirierte Künstler wie Charles Degroux mit realistischen Darstellungen des städtischen Proletariats und ländlicher Armut erste Erfolge gefeiert hatten, verstärkte sich gegen Ende des Jahrhunderts noch einmal die künstlerische Auseinandersetzung mit der sozialen Frage. Einen zentralen Platz nehmen hier Meuniers Skulpturen und Gemälde von Minen- und Hafenarbeitern e in. Der von Rationalismus und Materialismus geprägte Alltag, der dem Individuum wenig Freiräume ließ, verstärkte den Wunsch nach einem Rückzug aus der entfremdeten Wirklichkeit und einer Besinnung auf die innere Welt. Die Suche nach den Rätseln und Geheimnissen jenseits des Sichtbaren hatte vor allem in den Kreisen der Symbolisten Konjunktur. Die Ausstellung zeigt Arbeiten von beispielsweise Fernand Khnopff, Xavier Mellery und Leon Spilliaert, die sich unter anderem mit Seelenzuständen oder ein er Verlebendigung der Dinge befassen. Ein eigener Raum ist dem Werk von James Ensor gewidmet. Seine Malerei ist nach frühen naturalistischen Interieurszenen zunehmend von fantastischen Elementen geprägt. Ensor ersetzte das Bildpersonal durch verlebendigte Masken und Skelette und präsentiert die Welt so als karnevaleske Farce.

Alfred Stevens (1823–1906) Die Pariser Sphinx, 1875-1877 73 × 53 cm, Öl auf Leinwand Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft (CC0), Foto: Hugo Maertens

Alfred Stevens (1823–1906)
Die Pariser Sphinx, 1875-1877
73 × 53 cm, Öl auf Leinwand
Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen
Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft (CC0), Foto: Hugo Maertens

Der Wunsch nach Authentizität sowie nach Spiritualität und einem Rückzug aus der materiellen Welt – Belgien war um die Jahrhundertwende die fünftgrößte Industrienation der Welt – trieb auch die Künstler an, die sich ab 1898 in dem bei Gent gelegene n Dorf Sint-Martens-Latem niederließen. Die erste Generation dieser in den beiden folgenden Kapiteln der Ausstellung vorgestellten Künstlerkolonie, zu deren Protagonisten beispielsweise George Minne zählte, war mit religiösen Themen und Rückbezügen auf die mittelalterliche Malerei der sogenannten flämischen Primitiven stärker symbolistisch orientiert. Kurze Ze it später entwickelte sich Sint- Martens-Latem zu einer Keimzelle des Expressionismus: Werke von Künstlern wie Gustave De Smet, Frits Van den Berghe oder Constant Permeke zeichnen sich durch eine reduzierte, vereinfachte Formensprache aus. Die monumentalen Bauern- und Fischerfiguren Permekes knüpfen an die künstlerische Nobilitierung der einfachen Arbeiter und der Landbevölkerung im 19. Jahrhundert an, während Van den Berghe sich nach dem Ersten Weltkrieg mit der Darstellung fantastischer Gestalten und Formen langsam dem Surrealismus zuwandte. Ein eigenes Kapitel befasst sich mit Gemälden und Skulpturen von Rik Wouters. Seine Alltagsszenen und von Ensor inspirierten Interieurs weisen mitunter eine lockere, impressionistische Malweise auf, stehen in ihrer leuchtend bunten Farbigkeit aber auch den Fauves nahe. Wouters’ Bestreben, durch aufgelöste Oberflächen die Flüchtigkeit einzelner Momente wiederzugeben, zeigt sich gleichermaßen in seiner Malerei wie in seiner Bildhauerei. Ein weiterer Raum widmet sich der abstrakten belgischen Avantgarde aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, deren Kunst sozialen Zielen dienen und ein neu gestaltetes Leben in einer erneuerten Gesellschaft ermöglichen sollte. Hier setzten sich Künstler wie Jules Schmalzigaug oder Marthe Donas insbesondere mit dem italienischen Futurismus und dem französischen Kubismus auseinander.

René Magritte (1898–1967) Sechzehnter September, 1956 116,2 × 89,2 cm, Öl auf Leinwand Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen © René Magritte, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Ch. Herscovici, Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft, Foto: Hugo Maertens

René Magritte (1898–1967)
Sechzehnter September, 1956
116,2 × 89,2 cm, Öl auf Leinwand
Königliches Museum für schöne Künste Antwerpen
© René Magritte, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Ch. Herscovici, Sammlung KMSKA – Flämische Gemeinschaft, Foto: Hugo Maertens

Zum Schluss versammelt die Ausstellung surrealistische Werke von Paul Joostens, Paul Delvaux und René Magritte, die die Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen Realem und Fantastischem mit innovativen künstlerischen Techniken und Strategien (Collage, surreale Objektkombinationen etc.) neu ausloten. Was die Symbolisten an Realitätserweiterung durch Traum und Fantasie vorbereitet hatten, führten die Surrealisten zur Sur-Realität zusammen, in der alle Grenzen aufgehoben waren, alle Kategorien und Begriffe neu und frei gedacht werden sollten.

Mit rund 350.000 Besuchern jährlich ist die Kunsthalle München eines der renommiertesten Ausstellungshäuser Deutschlands. Im Herzen der Münchner Innenstadt gelegen werden hier pro Jahr drei große Ausstellungen zu den unterschiedlichsten Themen gezeigt. Rund 1.200 m² Ausstellungsfläche sind mit modernster Museumstechnik ausgestattet und bieten Kunstwerken verschiedenster Gattungen eine würdige Plattform: ob Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie, Kunsthandwerk, Design oder Mode. Monografische Ausstellungen und thematische. Projekte wechseln sich dabei ab, aber auch interdisziplinäre Ansätze finden im vielseitigen Programm der Kunsthalle München ihren Platz.

ÖFFNUNGSZEITEN
täglich 10–20 Uhr | zur AfterworkKH am 20.10., 17.11.2021, 19.1. und 16.2.2022: 10–22 Uhr (15.12.2021 entfällt) 24.12.: geschlossen | 31.12.: 10–17 Uhr | 1.3.: 10–18 Uhr
Sonderöffnungszeiten für Schulklassen: mittwochs 9–10 Uhr, Anmeldung erforderlich: kontakt@kunsthalle-muc.de

DIREKTOR
Roger Diederen

KURATORIN DER AUSSTELLUNG
Nerina Santorius
Co-Kurator: Herwig Todts (KMSKA)
Eine Kooperation mit dem Königlichen Museum der Schönen Künste Antwerpen: www.kmska.be

AUSSTELLUNGSGESTALTUNG
Martin Kinzlmaier (Bühnenbildner und Ausstellungsgestalter)

EINTRITTSPREISE
Regulär: € 15 | Ermäßigungen: Senior:innen (60+): € 13 | Schüler:innen, Auszubildende, Studierende (< 30 Jahre) und Arbeitslose: € 7 | Kinder und Jugendliche (6–18 Jahr e): € 2 | Kinder bis 6 Jahre: frei | angemeldete Schulklassen: € 2 p.P. | Familienkarte für 2 Erwachsene und ihre (Enkel-)Kinder (< 1 8 Jahre): € 26 | dienstags 50% Ermäßigung auf alle Eintrittspreise

AUDIO-TOUR
Zur Ausstellung gibt es eine kostenlose Audio-Tour, die von Zuhause sowie in der Ausstellung mit eigenem mobilen Endgerät abrufbar ist (www.kunsthalle-muc.de/fantastisch-real-audio).

FÜHRUNGEN
Führungen für Gruppen: Mo, Mi–Fr, 10–20 Uhr; Anmeldung erforderlich: kontakt@kunsthalle-muc.de
Öffentliche Führungen der VHS (max. 20 Pers.): Mo und Do 11:30 Uhr; Mi und Fr 15:30 Uhr;
€ 7 + Eintritt,
Teilnahme nur nach vorheriger Anmeldung bei der MVHS möglich: +4 9 (0)89 / 480 06 62 39
Kinderführungen (6–10 Jahre) in den Ferien: 3.11., 29.12.2021, 5.1., 2.3.2022, jeweils 15 Uhr, € 6,
Anmeldung: T +49 (0)89 / 22 44 12

BEGLEITPROGRAMM (AUSZUG)
Ein vielseitiges Programm erwartet die Besucher:innen: Die Veranstaltungsreihe AfterworkKH sorgt jeden dritten Mittwoch im Monat für entspannten Kunstgenuss nach der Arbeit. Vorträge mit interessanten Fachleuten beleuchten unterschiedliche Aspekte rund um das Thema der Ausstellung. Auch Kuratorinnenführungen und Führungen für Kinder werden angeboten. Aktuelle Infos zu Begleitprogramm und Führungen online.

KATALOG
Zur Ausstellung erscheint im Sandstein Verlag ein umfangreicher Begleitband mit über 200 Farbabbildungen. Hrsg. v. Roger Diederen, Nerina Santorius und Herwig Todts. Mit Beiträgen von Jan Dirk Baetens, Jane Block, Xavier Canonne, Adriaan Gonnissen, Denis Laoureux, Sura Levine, Peter Pauwels, Nerina Santorius, Herwig Todts, Estelle Vallender und Cathérine Verleysen.

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offizielle Hashtags zur Ausstellung: #FantastischMuc #KunsthalleMuc
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