Albertina zeigt Hubert Scheibl – Seeds of Time
Unter dem Titel Seeds of Time zeigt die ALBERTINA eine Auswahl aktueller Arbeiten von Hubert Scheibl, die großteils in der Abgeschiedenheit der Pandemie entstanden sind.
Dauer: 31. August – 5. Dezember 2021
Ausstellungsort: Pfeilerhalle
Kuratorin: Antonia Hoerschelmann, ALBERTINA
Werke: 36
Katalog: Erhältlich (Deutsch/Englisch) um EUR 29,90 im Shop der ALBERTINA sowie unter www.albertina.at
Öffnungszeiten: Täglich 10 – 18 Uhr
Fragen über Leben und Tod, über die Natur mit ihren Mutationen und die Evolution auch kleinster Lebensbausteine drängen sich unter den neuen Gegebenheiten auf. Die Pandemie hebt unsere Welt aus den Angeln: Ein Virus beweist eindrucksvoll und für alle spürbar, dass Zeit und Raum doch nur relative Größen im Angesicht von elementaren Bedrohungen sind.
Gewohnte Bezugspunkte werden verschoben und müssen neu definiert werden. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdichten sich zu einem flüchtig im Gemälde festgehaltenen Augenblick, der die lineare Kontinuität von Zeit negiert. Der Zufall und das Unkontrollierbare stehen dabei im Mittelpunkt – ganz wie in Scheibls Kunst.
Zentral für diese Präsentation sind die Skulpturen des Künstlers. Tatsächlich zeigen sich die verhältnismäßig kleinen Skulpturen als autonome wie gleichermaßen ebenbürtige Gegenüber zu den großformatigen Gemälden.
Scheibl selbst erklärt dazu:
„Für einen Künstler ist der reflexive Blick auf das eigene Werk manchmal sehr hilfreich. In meinem Fall ist das ein ironischer Blick auf die Malerei. Ich versuche mein Werk durch Skulpturen ironisch zu hinterfragen. Künstler tendieren schon allein aus ihrer Beschäftigung heraus dazu, sich um einen narzisstischen Kern zu drehen. Deshalb ist etwas Distanz zu sich selbst und zum eigenen Werk essenziell. Ironie ist wie ein Filter, um mit dem Drama der Realität zu spielen.“
Ausloten von Extremen
Die drei Ausstellungsräume widmen sich jeweils speziellen Phänomenen in Scheibls Kunst: In einem Raum kommunizieren sieben großformatige quadratische Gemälde miteinander, die durch viele übereinanderliegende Farbschichten entstanden sind.
Die Kunstwerke entfalten einen faszinierenden Farbklang aus jeweils individuellen, koloristischen Akkorden. Farben transportieren wesentliche emotionale, atmosphärische und oft zwar nicht beschreibbare, aber spürbare Inhalte. Licht, Farbe, neue Materialien und ein spezifischer Umgang mit der malerischen Oberfläche verwandeln die Gemälde in raumgreifende Farbkörper, die weit in das Umfeld des Bildes hineinwirken und es energetisch durchdringen.
Scheibls Serien entstehen nicht innerhalb eines begrenzten Zeitraums, sondern bauen oft viel später auf alten Erfindungen auf. Im Fall der auf einem koloristisch subtilen Bildgrund aufbereiteten Ones sind nachträgliche Änderungen ebenso wenig erlaubt wie bei den neuen My Private B. betitelten Arbeiten. Auf einen atmosphärisch komplexen Hintergrund überträgt der vom Impuls und maximaler Konzentration geleitete Pinselstrich die Körperbewegung dynamisch und unabänderbar auf das Bild, gibt ihm Raum und Gestalt.
Intuition und Kalkül
Ein weiteres wichtiges Thema der Präsentation bildet die Gegenüberstellung von Gemälden und zum Teil großformatigen Zeichnungen. Hier zeigt sich das wechselseitige Verfahren des Herauskratzens von Linien und Spuren bei Gemälden einerseits und das Auftragen von Linien auf das Weiß des Papiers beim Zeichnen andererseits.
Die abstrakten, impulsiv entstandenen Linienstrukturen erinnern an gegenständliche Formen aus der Natur, an Gräser, Äste oder Wälder. So auch bei der über elf Meter langen Zeichnung Itamaraca, die 2004 inmitten der Natur Brasiliens entstanden ist. Die Striche und Flecken folgen dem intuitiven Gestaltungsrhythmus des Künstlers, wobei gerade bei diesem großen Format auch die Körperbewegung in die Zeichnung einfließt. Das Papiermaß erfordert eine raumgreifende Bewegung des Künstlers und spiegelbildlich trifft der Betrachter mit seiner Körpergröße auf die Darstellung, wird von ihr umfangen, muss sie abschreiten, den Raum durchqueren, um sie als Ganzes erfassen zu können, ohne sie je tatsächlich in ihrer Gesamtheit vor Augen zu haben.
Evolution
Scheibls Suche nach einem „evolutionären Urstrom“ verwandelt die Leinwand in eine Projektionsfläche unzähliger Versuchsanordnungen – so auch in seinen neuesten Bildern, die am unteren Bildrand auf den Ausschnitt eines Farbkeils als Hilfe für das Kalibrieren von Fotoaufnahmen verweisen. Sie unterstreichen Scheibls Überzeugung, dass die Farbe das größte Kommunikationsmodell in der Evolution ist.
Scheibls künstlerisches Universum ist ein Kaleidoskop an Vielfalt und Koexistenzen. Seine Kunst ist ein permanentes Experiment, das Gegensätze verbinden will. Zentrale Ausdrucksform von Scheibl ist das Malen, in das Musik, Film, Bildhauerei, Zeichnen, Literatur, Philosophie und Wissenschaft einfließen.
Hubert Scheibl (1952*) hat als Schüler von Arnulf Rainer und Max Weiler an der Wiener Akademie am Schillerplatz studiert und zählt seit Jahrzehnten zu den international anerkannten österreichischen Künstlern. Sein Weg hat ihn dazu geführt, sich intensiv als Teil der Natur, der Evolutionsgeschichte an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft zu erleben. Mit seinen abstrakten und im Betrachter unterschwellig Gegenständliches evozierenden Bildern löst Hubert Scheibl ein existenzielles Erleben von Emotionen aus, das es jeden Tag neu zu überprüfen gilt. Sich auf sich selbst einzulassen ist dabei die beste Möglichkeit, in diese einzigartige Bildwelt einzutauchen. Auch deshalb zählt Hubert Scheibl zu den bedeutendsten Malern unserer Zeit. Auch in der ALBERTINA ist der Künstler mit bedeutenden Hauptwerken aus unterschiedlichen Schaffensperioden vertreten. Arbeiten aus seinem Œuvre sind regelmäßig in Sammlungspräsentationen zu sehen.
Zitate von Hubert Scheibl
„Ich bin mit meiner Kunst schon lange auf der Suche nach einem evolutionären Urstrom, sei es in der Malerei, in der Zeichnung oder wenn ich Musik mache.“
„Ich glaube, das visuelle Denken schreibt sich genau in jene Spalten ein, die das Denken offenlässt. Ich setze mich mit sinnlichen Formaten des Sichtbaren auseinander und suche archetypische Urbilder aus dem kollektiven Unbewussten.“
„Malen und Reisen haben für mich etwas Entschleunigendes. So entstehen zum Beispiel Zeichnungen meist, wenn ich auf Reisen bin. Ich finde, dass ein Ort mich immer verändert – man agiert ganz anders. Und wenn ich zurückkehre, leben die Eindrücke der Reisen in mir weiter und fließen in die Arbeiten ein.“
„Farbe ist das größte Kommunikationsmodell in der Evolution.“
„Das Leben, die eigene Lebendigkeit zu erhalten, ist oft schwer genug in unserer kleinen Aspirin-Existenz. Denn in der Kunst transportiert man Wasser mit bloßen Händen.“
„Ich versuche mit meinen Arbeiten Fragen zu stellen und einen Beitrag zu formulieren, der letztlich mit unseren Sehnsüchten und Vorstellungen davon zu tun hat, was die Welt ist und was sie vielleicht bedeuten sollte.“